Ein literarisches Kleinod

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hennie Avatar

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Nach der langen intensiven Lektüre dieses außergewöhnlichen Debüts des sprachgewandten Autors Lukas Vorpahl, weiß ich nicht so recht, wo ich mit meiner Laudatio beginnen soll.
Den Ausgangspunkt, ein Wort zur Hauptfigur eines Romanes zu machen, fand ich sehr innovativ und ich war gezwungen, mich in die ungewohnte Sprachwelt hineinzudenken.
Es beginnt damit, dass das Wort Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater hat. Der Vater sagt u.a.: [S. 14] „Wir dürfen die Menschen nicht nur verteufeln. Wir brauchen sie, sie lesen und schreiben uns. Sie lassen uns existieren. Ohne sie wird unsere Welt verschwinden. Viel schneller als wir glauben.“
In seinem Ärger über den Papa läuft das Wort aus dem Haus zu seinem stummen Freund Zeig. Dort widerfährt ihm das Unglück, in dem es zwischen Stimmbänder gerät und seine Erinnerung, seine Bedeutung, seine Zugehörigkeit zu (s)einer Wortfamilie verliert. Das Wort nimmt den Leser von da ab auf eine fantastische Reise mit, auf der Suche nach seinem Sinn, nach seinem Ursprung. Auf dieser Reise zu sich selbst macht es wertvolle Erfahrungen.

[S. 61] "Den Weg zu erkennen, der dir Sinn gibt, ist die größte Herausforderung."

In dieser Geschichte wird gezeigt, wie vielfältig Sprache ist und wie wirkungsvoll sie sein kann in ihrem Gebrauch. „Der Wortschatz“ ist für mich eine Wundertüte. Ich habe das Werk in einer Leserunde gelesen. Es war erstaunlich, zu erfahren, wieviel Raum der Autor zur Interpretation seines Textes gibt oder zu geben scheint. Jeder entdeckte etwas Neues. Ein wunderbares Buch voller genialer Einfälle (Da gibt es z. B. Babel, einen Ort, der als Müllplatz für unnütze, sinnlose Worte dient. Wurde Babel gewählt in Anlehnung an das Sprachwirrwarr, das dort angeblich herrschte?) Elias Vorpahls Zeilen musste ich oft mehrmals lesen, um den vollen Sinn zu begreifen bzw.besser zu verstehen. Diese vielen Anspielungen, Wortspielereien...
Der Roman ist wirklich ein Schatz und noch nie habe ich so lange gebraucht, um zum Ende zu kommen. Er erzählt eine bezaubernde, märchenhafte Geschichte mit Fantasieelementen, die ich immer wieder mal lesen werde, um weitere Feinheiten zu entdecken.
Elias Vorpahl, von Beruf Mathematiker, kann erstaunlich gut mit Worten umgehen. Ein Wortakrobat! Ich finde es ist ihm meisterhaft gelungen mit einer einfachen Geschichte, aber mit wohlgesetzten Worten eine parabelhafte Erzählung in mehreren Ebenen zu erschaffen. Ich empfinde es fast schon als philosophisch, dieser tiefgründige, manchmal spitzfindige, spielerische Umgang mit der Sprache. Der Autor schafft mit den Metaphern, den Sinnbildern, den vielen Anspielungen und Anlehnungen an bekannte literarische Werke eine märchenhafte Atmosphäre.
Ich habe mir jede Menge Sätze notiert, die ich als zitatwürdig erachtete. Das Buch hat nur 176 Seiten/11 Kapitel mit Prolog und Epilog, aber der Inhalt ist komprimiert. Es regt in hohem Maße die eigene Fantasie an. So fielen mir mit der Erwähnung des Teekesselspiels Dinge ein, die mit der Geschichte nichts zu tun haben. (Das ist ein Sprachspiel, das Anregungen gibt zur Förderung der Sprachkompetenz, indem Wörter mit doppelter oder mehrfacher Bedeutung gefunden werden sollen.)
Der Leser wird zum Ende des Buches direkt angesprochen, mit einbezogen. Auch das eine Klasse für sich.
Die gesamte Aufmachung des Romans ist hervorragend, Hardcover und mit Lesebändchen. Er enthält wunderschöne Illustrationen als ganzseitige Zeichnung vor jedem Kapitel sowie kleine Zeichnungen im Text von Julia Marie Stolba.
Ich vergebe für den „Wortschatz“ das Prädikat wertvoll. Mich hat seine Botschaft erreicht.
Das Buch wendet sich an Literaturliebhaber, ein wortgewaltiges Erstlingswerk, ein Werk, dass Gründlichkeit beim Lesen verlangt. Kein Buch zum einfach weglesen.
Von mir gibt es die Höchstbewertung und meine unbedingte Kauf-/Leseempfehlung!