Ein Buch wie eine Zwiebel...

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suja Avatar

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... prall und rund , doch je tiefer die einzelnen Schichten abblättern, desto mehr ist's einem zum Heulen.

Annette Hess, aus deren Feder die Erfolgsfilme "Weissensee" und "Kudamm 56" bzw "Kudamm 59" stammen, legt mit "Deutsches Haus" ihren ersten Roman vor.
Und wie nicht anders von ihr zu erwarten, zeichnet sich auch dieser Erstling durch eine sehr feine, sensible Sprache aus, mit der die Autorin wunderbar dichte, in sich stimmige Bilder zeichnet, die den Leser sofort gefangen nehmen und tief in die Geschichte hineinziehen.

Die Story per se ist schnell erzählt: In Frankfurt beginnt der erste Auschwitzprozeß und Eva, die Wirtstochter aus der Gaststätte "Deutsches Haus" wird als Dolmetscherin hinzugebeten.
Für sie ist es vermeintlich die erste Konfrontation mit diesem Thema und sie ahnt noch nicht, wie sehr sich ihr Leben durch diese Arbeit verändern wird.

Was jedoch eigentlich viel wichtiger als der blanke Text ist, ist zwischen den Zeilen zu lesen: Die Frage nach der Schuld an dem, was in den dunklen Jahren im letzten Jahrhundert in Deutschland passiert ist.
Schnell wird deutlich daß es eben NICHT nur einige Wenige waren, die sich versündigt haben, sondern daß hinter der Fratze des Biedermanns ein ganzes Volk Unfassbares begangen und zugelassen hat.

Spätestens hier wird es schmerzhaft beim Lesen, denn die Autorin macht sehr unmissverständlich klar, daß diese große, schreckliche Katastrophe "Drittes Reich / Zweiter Weltkrieg" nie richtig aufgearbeitet und stattdessen nur emotional zugeschüttet wurde, was nicht sein kann, weil nicht sein darf.

Die Folgen davon zeigen sich nicht nur im Jahre 1963, als der erste Prozeß begann (insgesamt gab es allein in Deutschland 6 Auschwitz-Prozesse) und eigentlich jede Figur in diesem Roman noch von Gewalterfahrungen geprägt handelt - sei es nun Evas Verlobter, der sie, gegen ihren Willen und über ihren Kopf hinweg, von der weiteren Mitarbeit am Prozeß abmeldet oder ihr kleiner, erst nach dem Krieg geborener Bruder, der Alpträume von Schlachten hat, die er gar nicht miterlebt hat ( es liegt also eine transgenerationale Traumatisierung vor ) - , sondern es drängt sich natürlich die Frage auf, wie weit diese Schuldnegierung und ihre Folgen Deutschland bis heute prägen.

(Sehr bewegend hat die Autorin im Übrigen ausgearbeitet, daß es nicht nur auf Seiten der Täter mehr oder minder unterdrückte Schuldgefühle gab, sondern auch auf Seiten der überlebt habenden Opfer, mit allen schrecklichen Konsequenzen.
Und gerade für diesem Punkt fehlt noch jedes Bewußtsein in der deutschen Öffentlichkeit. )

"Deutsches Haus" von Annette Hess erscheint zu einem Zeitpunkt, wo uns die Folgen dieser nicht bearbeiteten Vergangenheit quasi mit Volldampf um die Ohren fliegen.
Nicht erst die Ereignisse in Chemnitz machen deutlich, was passiert, wenn ein ganzes Volk über Generationen hinweg seine Traumata nicht auflöst, sondern an die Kinder und Kindeskinder weitergibt, wo sich die alten Wunden dann potenzieren in ihrem Schmerz und auch im aus diesem Schmerz entstehenden Hass.
Wir sind jetzt an dem Punkt, wo wir mehr als nur aufpassen müssen, daß der entsetzliche Kreis sich nicht schließt.
Annette Hess ist ein großer Dank dafür auszusprechen, daß sie uns allen einen Text an die Hand gibt, der dazu geeignet ist, endlich zu reden und daraus folgend auch zu verstehen und vor allem zu verhindern.

Dieses Buch gehört in jede Schulklasse, unter jeden Weihnachtsbaum, in jede öffentliche Bibliothek - und vor allem auch in jeden Bücherschrank in deutschen Altenheimen.