Ein Roman der nachhallt

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waterlilly Avatar

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Nachdem ich erfahren hatte, dass „Deutsches Haus“ von der Autorin der Fernsehserien „Weißensee“ und „Ku'damm“ ist war mir klar, dass ich dieses Buch auf jeden Fall lesen muss. Annette Hess greift einen weiteren Teil deutscher Geschichte auf und befasst sich mit dem ersten Auschwitz Prozess in Frankfurt.

Dolmetscherin Eva hat bisher hauptsächlich Verträge übersetzt. Sie führt als Tochter eines Gasthausbesitzers ein mehr oder weniger sorgloses Leben und ihr größtes Problem ist, dass ihr Freund Jürgen ihr noch immer keinen Heiratsantrag gemacht hat. Als ein polnischer Dolmetscher ausfällt, wird sie engagiert um eine wichtige Zeugenaussage zu übersetzen. Eva versteht zunächst nicht, was der Mann ihr erzählt. Zu groß sind die Grausamkeiten, von denen sie noch nie etwas gehört hat. Doch schon bald ist ihr Sinn für Gerechtigkeit geweckt. Sie möchte den Opfern helfen und setzt sich dabei auch über ihre Familie und ihren mittlerweile Verlobten hinweg, da diese strickt dagegen sind, dass Eva die Arbeit annimmt.

Über die Zustände in Konzentrationslagern habe ich schon viel gelesen, dennoch schockiert es mich immer wieder aufs Neue, welches Leid unschuldige Menschen erdulden mussten. Annette Hess konfrontiert den Leser mit Zahlen der Opfer, deren Ausmaß über jegliche Vorstellungskraft hinaus geht. Es spielt keine Rolle, wie lange der 2. Weltkrieg zurück liegt, ich finde es wichtig, dass immer wieder Bücher zu diesem Thema geschrieben werden - manche Sachen dürfen nie vergessen werden, insbesondere nicht in der heutigen Zeit.

Wie auch schon in „Ku'damm“ bestürzt mich auch in diesem Buch die Verleugnungshaltung vieler Menschen und das völlige Fehlen von Bedauern. Auch Eva kann das Verhalten ihrer Familie und ihres Verlobten nur schwer akzeptieren.

„Deutsches Haus“ spielt vor nicht allzu langer Zeit und liest sich an vielen Stellen doch wie eine Geschichte von einem anderen Planeten. Dass Ehemänner oder in diesem Falle sogar nur ein Verlobter ihren Frauen die Berufstätigkeit verbieten konnten erscheint aus heutiger Sicht völlig hirnrissig.
Die Einblicke in das Leben und Gedankengut der 60er Jahre fand ich sehr interessant. An manchen Stellen war die Geschichte allerdings plötzlich fast schon seicht und stand in irritierendem Kontrast zur ansonsten schweren Kost.
All diese Gedanken um den Verlobten und dem Wunsch ihm zu gefallen scheinen sogar nicht zu der selbstbewussten Eva zu passen zumal Jürgen ein ziemlicher Widerling ist.

Merkwürdig gewählt finde ich auch den Titel „Deutsches Haus“, der sich auf das Gasthaus von Evas Eltern bezieht. Persönlich hätte ich einen Titel ausgesucht, der den Inhalt besser widerspiegelt.

Ansonsten kommt der Roman ganz ohne Kapitel aus. Stattdessen ist die Erzählung durch Absätze unterbrochen. Der Schreibstil war zu jeder Zeit sehr fesselnd und ging mir an vielen Stellen unter die Haut. Auch die Enthüllungen über Evas Herkunft wurden geschickt in die Geschichte eingeflochten und sorgten für zusätzliche Dramatik. Für mich hat es sich auf jeden Fall gelohnt, diesen Roman zu lesen.