Eine wirklich gut erzählte, lesenswerte Geschichte

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
soetom Avatar

Von

Puh... Was für ein Buch! Am beeindruckendsten fand ich beim Lesen, dass die Geschichte über furchtbare Misshandlungen, Mord und Folter und über Menschen, die darüber berichten, fast ohne blutige, schockierende Bilder auskommt. Und wenn sie doch erwähnt werden, dann sind sie im Vergleich zu populären Thrillern à la Fitzek & Co. eher nüchtern bis harmlos beschrieben.

Aber gerade dadurch kostete mich das Weiterlesen immer wieder Überwindung. Natürlich hatte ich die Bilder von Auschwitz im Kopf. Natürlich wusste ich, worum es geht. Und dann quasi ohne Übergang über Kohlrouladen oder die anstehende Verlobung zu lesen war fast noch schockierender als die Bilder, die schon in meinem Kopf waren. Vielleicht auch gerade, WEIL die Bilder schon in meinem Kopf waren.

Es ist nämlich kein Buch über Auschwitz. Es ist ein Buch darüber, wie hinterher die Überlebenden damit umgehen, dass es Auschwitz gegeben hat. Wie sie versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Wie sie versuchen, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Wie sie daran zugrunde gehen, wenn es eben nicht noch etwas neben dem Schrecken gibt, dass sie am Leben hält. Und dass es keine Wiedergutmachung, kein Happyend geben kann.

Dabei kommt das Buch ohne erhobenen Zeigefinger aus. Findet Verständnis oder zumindest nachvollziehbare menschliche Züge für alle auftretenden Figuren. Sogar für die angeklagten Täter in dem Prozess, um den es in der Rahmenhandlung geht. Sogar für den, der von vielen Prozessbeteiligten "die Bestie" genannt wird.

Und fast nebenbei ist das Buch eine Geschichte über den Zeitgeist im beginnenden Wirtschaftswunder, über Emanzipation und über Liebe. Eine Mischung, die ja auch die Wirklichkeit widerspiegelt. Jeder Mensch ist ja oft in ganz vielen, oft sehr verschiedenen Rollen. Wenn heute gerne alles in entweder-oder betrachtet wird, ist das angenehm vielfältig.

Gerade wo einige gerne das Geschehene relativieren wollen, das Erinnern daran als "Schuldkult" ablehnen wollen, ist dieses Buch ein Augenöffner. Ein unbedingt lesenswertes Buch!