Faszinierender Blick auf zwei Etappen deutscher Geschichte

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kleine hexe Avatar

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1963: Grace Kelly ist schon Fürstin von Monaco, Kennedy war in Berlin (Ick bin aan Barliner!) und rührte Tausende zu Tränen, um dann im November des gleichen Jahres in Dallas einem Attentat zum Opfer zu fallen, Ludwig Erhard löst Konrad Adenauer ab und wird zweiter deutscher Bundeskanzler, Martin Luther King hält seine berühmte Rede: „I have a dream“. Deutschland ist mitten im Wirtschaftswunder, eine gebratene Gans gibt es nicht nur zu Weihnachten, in den guten Stuben gibt es schon vielerorts Fernseher. Die 1968er sind noch in weiter Ferne. Und der Zweite Weltkrieg mit all seinen Gräueln ist nur noch für die Generation der Eltern lebhaft und omnipräsent in Erinnerung, obwohl nie darüber gesprochen wird. Für die jüngere Generation ist der Krieg etwas das sie nicht tangiert. Sie waren ja nicht dabei; die Eltern und Großeltern die überlebt haben sprechen nie darüber, alles Böse wird verschwiegen, unter- und weggedrückt.
Deutschland 1963: in Frankfurt beginnt der große Ausschwitz-Prozess. Die Befehlshaber im Lager Ausschwitz-Birkenau müssen sich für Ihre Taten verantworten. Wie selbstverständlich plädieren alle für „nicht schuldig“, sie hätten alle nur Befehle ausgeführt. Das Fachwort dafür lautet „Befehlsnotstand“. Der für die Selektierung der Häftlinge Verantwortliche behauptet sogar, er hätte den Häftlingen etwas Gutes getan, gegen den Befehl des Führers, alle Juden zu vernichten. Dank ihm hätten so viele überlebt. Zynischer kann man wohl kaum seine unmenschlichen Taten rechtfertigen.
Mitten in diesem Prozess steht eine junge Frau, Eva Bruhns. Sie ist Dolmetscherin und übersetzt für die polnischen Überlebenden, die in diesem Prozess ihre Aussagen machen. Sie hat es nicht leicht. Daheim wollen ihre Eltern nichts wissen von ihrer Arbeit, ihr Verlobter Jürgen ist auch gegen ihre Tätigkeit bei diesem Gericht. Hinter ihrem Rücken geht er zur Staatsanwaltschaft und kündigt ihre Arbeit. Wohlgemerkt, es ist 1963. Er darf das, es ist legal. Daraufhin löst Eva die Verlobung und arbeitet weiter. Während der Zeugenaussagen hat sie immer öfter „Deja Vu“ Momente, bis sie feststellt, das ist kein Deja Vu mehr, das hat sie erlebt. Sie begleitet den Richter, die Staatsanwälte und den Verteidiger auf einer Reise nach Ausschwitz-Birkenau und erkennt sogar das Haus in dem sie damals gewohnt hat. Eva findet heraus, dass ihr Vater Koch für die SS-Truppen in Ausschwitz war. Sie hatte das nicht gewusst, ihre Eltern haben es ihr immer verschwiegen. Eva stellt ihren Eltern die Frage nach Ausschwitz. Sie geben es zu, sie hätten keine andere Wahl gehabt. Evas ältere Schwester Annegret ist von dem was sie vom Lager mitbekommen hat stark traumatisiert und kann sich nur dann wohl fühlen wenn sie Säuglinge auf der Krankenhausstation wo sie arbeitet, vor dem Tod rettet. Aber sie flößt den Neugeborenen zuerst Kolibakterien ein, um sie danach hingebungsvoll gesund zu pflegen. Bei manchen Kindern gelingt das aber nicht mehr. Annegret wird zur Mörderin. Erst mit ihrer Heirat und ihrem Wegzug aus Frankfurt wird das aufhören.
Eva zieht von daheim aus. Obwohl sie ein Kind war, als ihr Vater in Ausschwitz gearbeitet hat, fühlt sie sich schuldig. Sie trägt die Schuld ihrer Eltern in sich. Eva sucht in Warschau den einzigen Mann auf, an den sie sich noch aus ihrer Kindheit erinnern kann. Es ist Herr Jaschinsky, ein ehemaliger Häftling der im Lager als Friseur arbeiten musste / durfte. Obwohl er sie erkennt, streitet der Friseur ab, im Lager gewesen zu sein. Eva Bruhns ist die Tochter von Tätern, von ihm ist weder Trost noch Absolution zu erwarten.
Evas Reifeprozess ist erst abgeschlossen, als sie sich wieder Jürgen nähert. Auch Jürgen hat sich geändert, kann Eva so akzeptieren wie sie ist.
Das Titelbild mit der jungen blonden Frau, mit Akten, Handtäschchen und Handschuhen erinnert an die Zeit der frühen sechziger Jahre, als die Jugend noch unschuldig war, als die Gräuel des Nazi-Regimes schon vom neuen Wohlstand übertüncht waren, als Schwarz und Weiß klar voneinander getrennt schienen, ohne Grauabstufungen zuzulassen.
Der Titel: „Deutsches Haus“ ist doppelbödig. Zum einen führen Evas Eltern ein Restaurant „Deutsches Haus“ mit bürgerlichen Küche, zum anderen aber steht deutsches Haus für das ganze Land oder für jede deutsche Familie, in der es kaum eine ohne mindestens einen Mittäter, Mitläufer, Mitschuldigen gab. Jürgens Vater war als Kommunist von den Nazis interniert worden, geschlagen, gefoltert, er hat die Zeit nur knapp überlebt. Jürgens Mutter hat nicht überlebt. Aber Jürgen selber ist gegen Kriegsende zum Täter geworden. An dieser Schuld droht er zu zerbrechen.
Ein wunderschönes, aufwühlendes Buch, über zwei Etappen deutscher Geschichte die nicht vergessen werden dürfen, die dunklen Jahre des dritten Reiches und die Wirtschaftswunderjahre, wo Verlobte und Ehemänner über den beruflichen Werdegang der Frauen bestimmen durften, oder wo junge Frauen noch selbstverständlich bei den Eltern wohnten.