Vergangenheitsbewältigung

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takabayashi Avatar

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Interessant verpackte Geschichtslektion! Die junge Frankfurter Gastwirtstochter und Dolmetscherin Eva Bruhns wird zufällig als Übersetzerin beim ersten Auschwitzprozess eingesetzt. Beim ersten Vortermin ist sie noch ganz naiv und versteht nicht, worum es eigentlich geht. Sie ist zu dem Zeitpunkt eher daran interessiert, dass ihr Freund bei ihrem Vater um ihre Hand anhält.
Doch je mehr sie sich damit beschäftigt, desto mehr ist sie involviert und empört über das, was in Auschwitz passiert ist und von weiten Kreisen der Bevölkerung immer noch geleugnet wird. Gegen den Wunsch ihrer Eltern und auch ihres Verlobten beschließt sie, den ganzen Prozess als Dolmetscherin zu begleiten. Diese Erfahrung verändert sie und lässt sie reifen. Außerdem entdeckt sie, dass auch ihre Familie am Rande in die Naziverbrechen verwickelt war, was zum Zerwürfnis mit ihren Eltern führt.
Wie schon in den Fernsehspielen Kudamm 56 und 59 ist es der Autorin hervorragend gelungen, die Atmosphäre der Zeit (hier die mittleren 60er Jahre) zu erfassen. Man kann es kaum glauben, dass im Jahr 1964 ein Ehemann (hier ist es sogar nur ein Verlobter, also ein zukünftiger Ehemann) noch das Recht hatte, ein Arbeitsverhältnis seiner Frau zu kündigen! Die Zeugenaussagen über die Gräueltaten sind ergreifend, nicht nur für die Protagonistin Eva, sondern auch für den heutigen Leser. Durch die Verknüpfung mit Evas Geschichte ist das keine dröge Geschichtslektion, sondern eine spannende, zeitgeschichtliche Erzählung. Angesichts der momentanen politischen Entwicklungen ist dies der richtige Roman zur richtigen Zeit - sehr zu empfehlen!