Geschichte ohne Anfang

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chrystally Avatar

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Das Cover von „Diamantnächte“ von Hilde Rød-Larsen mit seinem irisierenden Farbspiel hat mich persönlich sofort angezogen, und der Inhalt hat mich auch neugierig gemacht.
Es geht um Agnete, die sich – ganz für sich – ihrer Vergangenheit und erlebten schwierigen Beziehungen stellt, indem sie sich zwingt, sich zurückzuerinnern. Anfangs ist sie noch ambivalent und vermeidet die Erinnerung – dieser Teil las sich entsprechend zwar schön geschrieben, aber eben oberflächlich und bisweilen etwas langatmig. Doch dann nutzt Agnete (und Rød-Larsen) einen Kunstgriff, der auch als Psychotherapietechnik genutzt wird: sie geht auf Abstand, ändert die Namen – und plötzlich sprudelt die Erzählung und nimmt an Fahrt auf, und wir begleiten sie durch die Erinnerungen an eine aufregende, aber auch schmerzvolle Zeit ihres Lebens. Diese Erzähltechnik fand ich kurz verwirrend, dann aber sehr elegant und stimmig. Über diese Brücke schafft Agnete auch wieder, den Bogen zu sich zu schließen, und erzählt dann mit neuer Tiefe von sich selbst weiter, bis sie im Hier und Jetzt ankommt.
Am Ende des Buchs bleiben jedoch Fragezeichen bei mir zurück. Denn Agnete stellt sich zwar einer schweren Erinnerung und ihrem eigenen Verhalten, verfolgt auch dessen Vorläufer bis in ihre Kindheit – es bleibt jedoch offen, wieso sie schon früh bestimmte Eigenarten entwickelt hat. So endete die Selbsterfahrungsreise, ohne ganz ans Ende (bzgl. den Anfang) zu gelangen.
Ansonsten fand ich das Buch stimmig und stimmungsvoll und gebe eine Leseempfehlung für alle Menschen, die psychologisch interessiert sind und für solche, die ein Vorbild brauchen, wie man an der Ehrlichkeit sich selbst gegenüber wachsen kann.