Intelligente Reflexion des Themas Selbsttäuschung

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waschbaerprinzessin Avatar

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Wie sehr bin ich damit beschäftigt, mich so zu inszenieren, wie ich von der Außenwelt wahrgenommen werden möchte, während ich mir eigentlich am meisten wünsche, dass jemand sieht, wie es mir wirklich geht? Und was macht das mit mir? Entsprechen meine Erinnerungen der Wahrheit oder habe ich auch sie so umgeschrieben, dass sie in die Geschichte passen, die ich mir selbst erzähle? Was tue ich mir selbst an, in der Hoffnung, eine bestimmte Reaktion bei einer anderen Person damit auszulösen? Diese Fragen behandelt Hilde Rod-Larsen in ihrem Roman „Diamantnächte“ auf eine ausgesprochen ruhige, intelligente und einfühlsame Art.

Als der Protagonistin Agnete die Haare auszufallen beginnen, erkennt sie, dass es an der Zeit ist, sich mit einem traumatischen Erlebnis aus ihrer Studienzeit auseinanderzusetzen. Ihre Bewältigungsstrategie ist es, darüber zu schreiben. Dabei reflektiert sie nicht nur das Erlebte und ihre eigenen Gedanken und Gefühle, sondern auch den Schreibprozess selbst. An welchem Punkt soll sie die Erzählung beginnen? Welche Perspektive soll sie wählen? Im Laufe des Romans probiert sie verschiedene Erzählweisen aus, um herauszufinden, auf welche Weise sie am wahrhaftigsten von den Ereignissen berichten kann. Larsen gelingt es auf diese Weise, die wichtigsten Fragestellungen des Texts auch anhand des Schreibstils selbst aufzugreifen.

Der Roman setzt sich aus Erinnerungen von Agnete von ihrer Kindheit bis in die Gegenwart in Form von kurzen Kapiteln, manche wenige Seiten, andere nur wenige Zeilen lang, zusammen. Dabei geht Agnete nicht chronologisch vor, sondern springt zwischen ihren verschiedenen Lebensphasen hin und her und reflektiert über die Ereignisse und ihr Verhalten. Obwohl dabei stets die Selbstwahrnehmung sowie die Wahrhaftigkeit der eigenen Erinnerungen hinterfragt werden, vermittelt die Erzählweise ein Gefühl radikaler Ehrlichkeit. Agnete legt ihre Ängste und Wünsche offen dar und analysiert ihre eigenen Verhaltensmuster. Trotz des eher nüchternen Tonfalls habe ich mich der Protagonistin beim Lesen sehr nahe gefühlt und immer wieder darüber nachgedacht, inwiefern ich selbst versuche, eine ganz bestimmte Version von mir für die anderen zu kreieren und so ihr Verhalten mir gegenüber zu beeinflussen.

Hilde Rod-Larsens „Diamantnächte“ ist ein beeindruckendes Buch, in dem eigentlich nicht viel passiert und das sich schnell lesen lässt, aber noch lange in mir nachhallt und mich auch Tage nach der Lektüre noch dazu bringt, meine eigenen Erinnerungen und Verhaltensweisen anderen gegenüber zu hinterfragen.