Kontrolle und Kontrollverlust

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„Wie geht es dir eigentlich?“ – diese Frage spielt im Roman „Diamantnächte“ der norwegischen Autorin Hilde Rød-Larsen eine zentrale Rolle, ist es doch die Frage, die uns im Laufe unseres Lebens relativ häufig gestellt wird und die wir uns selbst auch häufiger stellen sollten, die jedoch oft unwahrheitsgemäß und oberflächlich beantwortet wird. Wie kaum eine andere Frage drückt sie den Wunsch aus, den anderen zu sehen und selbst gesehen zu werden, die Möglichkeit, tiefer zu gehen und hinter die Fassade zu blicken.
Diesen Wunsch, sich selbst zu sehen, den Dingen auf den Grund zu gehen, hat auch Agnete. Als ihre Haare beginnen, büschelweise auszugehen – und das schon zum dritten Mal in ihrem Leben -, erkennt sie, dass es Zeit ist, die Ursache für ihren Haarverlust zu suchen. Was in ihrem Leben muss sie loslassen? Als ihr Ehemann für längere Zeit verreist, nutzt sie diese Zeit, um sich intensiv mit sich selbst und mit ihrer Vergangenheit zu beschäftigen. Durch die Zeit mäandernd und fragmentarisch deckt sie Stück für Stück auf, welche Ereignisse in der Vergangenheit zu ihrem Ist-Zustand geführt haben. Dabei spielen vor allem Kontrolle und Kontrollverlust, Selbstbetrug, toxische Beziehungen und Verletzlichkeit eine große Rolle.
Mich hat die Geschichte sehr berührt. Trotz des eher nüchtern-distanzierten Erzählstils, den man bei skandinavischen Romanen meiner Meinung nach häufig findet, konnte mich das Erzählte vollkommen in seinen Bann ziehen. Spannend und auch ein bisschen traurig fand ich vor allem, wie sich die Themen Kontrolle und Disziplin durch Agnetes Leben ziehen und wie diese letztendlich ihr Leben bestimmen. Ich konnte mich sehr gut in ihre Gedanken einfühlen und mich hier und da sogar wiederfinden. Die literarische Form - das fragmentarische Erzählen und das vorübergehende Wechseln in eine andere Erzählperspektive – hat dazu beigetragen, dass die Geschichte einen eigenen Sog entwickelt hat und ich das Buch nur schwer aus der Hand legen konnte.
Ich hoffe, in Zukunft noch mehr von der Autorin lesen zu können.