Selbst

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
book_fairy04 Avatar

Von

„Diamantnächte“ von Hilde Rod-Larsen erzählt von einer Frau, die gesehen werden möchte.
Es geht um die Frage: „Wie geht es dir eigentlich?“

Agnete war immer schon eine stille Beobachterin, im Erwachsenenalter wird sie dafür sogar bezahlt. Ihr Wunsch war es schon immer, gesehen zu werden.

Selbst, das ist ein Wort, das nur in der Mehrzahl existieren dürfte. Doch obwohl jeder von uns viele ist, ist es möglich, sich als Kontinuum ein und desselben zu fühlen. Und meine Aufgabe besteht darin, den Menschen dabei zu helfen. S.109

Agnete ist mit ihrer Tochter allein zu Hause. Ihr Mann ist von Herbst bis Weihnachten auf Reisen und Agnete ergreift die Gelegenheit ihre Geschichte zu erzählen. Auch wenn sie nicht genau weiß, wie sie dies machen soll, ist es notwendig. Ihr Körper rebelliert, seit Monaten fallen ihr die Haare aus.

Der Roman ist in drei Abschnitte unterteilt; im ersten Abschnitt erzählt uns die Protagonistin Agnete in der ICH-Perspektive von ihrer Zeit als Studentin. Sie lernt Jenny kennen und deren
Vater Christoph, einen ausgebildeten Psychologen.

Erzähle nichts über dich selbst, ehe man dir eine Frage stellt. Oft kommt diese Frage nie. Das gilt für Männer und Frauen. (S.26)

Der Schmerz ist tragisch, Agnete kann es nicht erzählen. In Abschnitt zwei wechselt die Geschichte. Erzählt wird in der Dritten Person; Agnete wird zu Marianne, ihre Freundin Jenny zu Sarah und der Vater Christoph wird Alexander, der Seelenklempner.
Er hält für seine Patientin immer ein weißes Laken und eine Couch bereit. Marianne hat den ersten sexuellen Kontakt mit ihm und konnte doch nichts über sich erzählen. Ihre Freundschaft zu Sarah endet und doch bleibt der toxische Kontakt zu Alexander.

Wenn die kleine Lampe in ihrem Inneren die Welt zum Funkeln bringt wie Diamanten, muss sie vorsichtig versuchen, das Licht zu dämpfen und sei es nur ein bisschen, aber sie darf auf keinen Fall versuchen, es immer weiter aufzudrehen, weiter und weiter und weiter, bis die Birne durchbrennt. Dann wird es sich anfühlen, als würde es nie wieder hell werden, als wäre die Lampe für immer zerstört. Die vorige Nacht war eine solche Diamantnacht gewesen. (s.102)


Im dritten Abschnitt wechselt der Erzählstil wieder zurück.
Die Protagonistin versucht Christoph nun schlicht C genannt aus ihrem Leben zu verbannen und doch kann sie sich ihm und dem weißen Laken - ist es immer dasselbe?- nicht entziehen.
Sie versucht mit der Erzählung, dem Schreiben, das Erlebte zu verarbeiten, ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen zu reflektieren.
Die Frage „Wie geht es dir?“ möchte die Protagonistin analysieren und ihre psychischen Probleme lösen.

Es gleicht einer Liebeshandlung. Bei diesen Worten wird mir unwohl, jetzt, da ich weiß, was Liebe ist. (S.185)

Die Autorin hat die Gedanken und Gefühle der Protagonist:in sehr gut beschrieben, unklar war zunächst, in welche Richtung die Erzählung führt. Psychologisch gut aufgebaut, plätschert die Erzählung der jungen Agnete abwechseln zwischen der Vergangenheit und Gegenwart. Der Gedanke, an andere Frauen, die auf der Couch lagen und deren Körper Hilferuf um Hilferuf abgaben wurden nicht beachtet. Erst in der Gegenwart, als ihre Haare fielen, fielen auch die Gesichter.

Die körperliche Veränderung lag außerhalb ihrer Kontrolle und doch war der Parasit endlich besiegt.

Ein außergewöhnliches Leseerlebnis wurde von der Autorin mit ihrem schlichten Schreibstil, den tiefgründigen Passagen und kurzen Kapiteln geschaffen.