Wahrheit trifft auch Illusionen und Selbsttäuschung

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elfe1110 Avatar

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Diamantnächte erzählt von einer Frau, die sich ihrer eigenen Vergangenheit stellen will und doch immer wieder an der Diskrepanz zwischen Wahrheit und Ehrlichkeit einerseits und Selbsttäuschung und Aufrichtigkeit andererseits zu scheitern droht.
Agnete ist 48, zum zweiten Mal verheiratet, hat eine Tochter, führt ein angepasstes, unauffälliges Mittelstandsleben. Eigentlich schein alles gut zu sein. Eigentlich. Bis ihr von einem Tag auf den anderen die Haare ausfallen. Und Agnete ahnt, dass die Lösung hierzu in ihrer Studentenzeit in London liegt, tief verborgen und emotional „weit weggepackt“. Als ihr Mann dann für längere Zeit dienstlich verreist, stellt sie sich ihren Erinnerungen.
Es beginnt eine Geschichte voller Selbstbetrug und Illusionen, Wahrheiten und Täuschungen. Agnete erkennt, dass sie sich immer wieder windet, ablenken lässt. „Ich weiche schon wieder aus, Wort für Wort versperrt das, wohin ich eigentlich vordringen will.“ Nur durch einen Perspektivwechsel gelingt ihr dann der Fokus. „Ich muss verschwinden.“ Genau hier wechselt die Autorin in Teilen vom Ich ins Sie. Allein mit dieser Distanz ist die Erinnerung möglich. Und was da zutage kommt ist geprägt von toxischen Beziehungen, Selbstzweifeln, fehlender Anerkennung und dem Wunsch dazuzugehören.
Rød-Larsens außergewöhnlicher Schreibstil lässt die Leserin auf eine Art am Geschehen und den Gedanken Agnetes teilhaben und ist doch sehr distanziert und emotionslos. Gleich so, als wäre ich die Vertraute des Opfers, das in Fragmenten berichtet und gleichzeitig aus der zeitlichen Reflexion heraus deutet und erklärt. Erschütternd, wie da Erlebnisse aus der Vergangenheit im gesellschaftlichen Kontext heutiger Diskussionen wie beispielsweise #metoo eine neue, gegenwärtigere Interpretation und Einordnung erfahren.
Auch wenn vieles inhaltlich in Andeutungen bleibt und viel Raum für Interpretation lässt, so mag dieser Roman für einige Leserinnen schwere Kost sein. Einmal darauf eingelassen ist der Roman sehr tiefgründig, ergreifend und lässt bis zum Ende sehr viel Spielraum für eigene Gedanken.