Es bleibt in der Familie.
Es bleibt in der Familie. Könnte man sagen. Die Enkelin von Hermann Henselmann, Florentine Anders, schreibt die Geschichte ihrer Familie auf und damit die Entwicklung von Architektur und Stadtentwicklung im 20. Jahrhundert. Die Autorin hat Journalismus studiert und arbeitet auch in dieser Profession. In toto – es gibt kein Quäntchen Lamento zu viel in diesem Text. Der scheinbare Protagonist ist Hermann Henselmann, Jahrgang 1905. Seine Bestimmung ist die Architektur, nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges auch die Stadtplanung.
Der Geist des jungen, neuen Staates, des real existierenden Sozialismus soll auch im Beton des Wiederaufbaus zu riechen sein. Durch einen Husarenstreich wird er nach der Niederlage der Hitler-Truppen Stadtbaurat in Gotha, dann 1946 Direktor der Staatlichen Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar und 1949 Abteilungsleiter am Institut für Bauwesen der Deutschen Akademie der Wissenschaften in der östlichen Hälfte Berlins. Henselmann ist der Mann für das Große, für das Aufsehenerregende. Stalinallee, Frankfurter Tor, Fernsehturm „Das Kreuz des Ostens“.
Und selbst in der Verbannung ist er produktiv, versetzt in den Typenbau macht er auch mit wenigen Strichen aus den einheitsengen Plattenbauten lebbaren Stadtraum. Doch die systemimmanenten Kritiker sind, wie immer: kein Geld, keine Zeit. Vor keinem Konflikt macht Henselmann halt, die politischen Eliten beißen sich in Reihe die Zähne an ihm aus; oft helfen nur „Straf- und Verbannungsmaßnahmen“. Doch Henselmann ist nicht beizukommen. „Weitermachen“, lautet stets und ständig seine Devise. Und irgendwann kann das Establishment der SED einfach nicht mehr an ihm vorbei.
So, wie es beruflich und in der Öffentlichkeit häufig auf und ab geht, ist auch sein Privatleben eine Achterbahn. Das „Wiki“ formuliert es lakonisch: „Henselmann war mit der Architektin Irene Henselmann verheiratet, mit der er acht Kinder hatte. Er ist der Großvater der Schauspielerin Anne-Sophie Briest. Henselmann ist auf dem Waldfriedhof Zehlendorf bestattet. Sein Grab ist als Ehrengrab der Stadt Berlin gewidmet.“ Hinter diesen kargen Sätzen steht ein lebendiges, vielfältiges manchmal chaotisches Privatleben. Daher entfaltet sich auch ein Panorama der zeitgenössischen, internationalen Architekturszene. Deren Teil wollte Henselmann immer sein, nicht der Häuslebauer der sozialistischen Engstirne. Und dieses Ziel hat er erreicht. Henselmann kannte jeden und sprach mit jedem. Keine Strippe, an deren Ende nicht der Altmeister zog. Seine Berühmtheit nutzte er gnadenlos, für Freunde und Familie, für Planungen und auch sein eigenes Fortkommen.
Und hier schleicht es sich hinein in diesen schönen Text. DAS Wörtchen „eigen“. Denn ja, wie so viele schöpferische Menschen in der Auseinandersetzung zwischen Individuum und System, war Henselmann ein „Monoman“. (vergl. u.a.: Nackt in die DDR. Mein Urgroßonkel Willi Sitte und was die ganze Geschichte mit mir zu tun hat. Von Aron Boks). Er verbrauchte Zigarren, Cognac, Worte, Ideen, Gedanken und Menschen. Seine Frau neben sich, eine Gebärmaschine. Wer koordiniert seine Termine. Die Ehefrau. Wer organisiert Haushalt, Gästebetreuung und die privaten Finanzen. Die Ehefrau. Wer kommt, trotz aller Versprechungen, nie zu einer selbständigen Ausbildung oder Studium. Die Ehefrau. Offener Ehebruch, warum nicht. Beschimpfungsattacken, denen kein Familienmitglied entgeht. Jähzornsausbrüche, gegen die nur die Flucht aus dem Haus hilft. Scheiden lassen sie Irene und Hermann nie.
Wer sind die Protagonistinnen dieses Textes: die Frauen.
P.S. an den Verlag Galiani: "Habt Ihr keine Korrektoren mehr?"
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