Hoffnung durch Bauen

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Ist der Roman „Die Allee“ von Florentine Anders eine Familien- oder eine Architekturgeschichte? Er ist beides und auch eine ziemlich politische Geschichte. Wie passt das alles zusammen und das auch noch auf um die 350 Seiten, die gut sieben Jahrzehnte abdecken? Familie, Bauen und Politik gehören im Leben von Heinrich und Isi Henselmann einfach untrennbar zusammen und auch ihre Tochter Isa, die dritte Hauptperson des Romans, bewegt sich in diesen Feldern, auch wenn sie nicht direkt an der Bautätigkeit ihres Vaters beteiligt ist. Dieser ist die bestimmende Figur der modernen Architektur in der DDR. Um ihn kommt man nicht herum, wenn man sich die prestigereichen Bauten in vierzig Jahren Sozialismus auf deutschem Boden anschaut: Leipzig, Jena und immer wieder Berlin. Insofern ist es auch ein wenig eine Berlingeschichte. Wer jetzt denkt, dass so jemand doch ein ziemlich strammer Parteigänger der SED gewesen sein muss, der macht es sich zu einfach. Henselmann und seine Familie arrangieren sich mit Vielem im Staat, sind vernetzt mit den Regierenden, aber auch mit den Personen, die an eine menschlichere Form des Sozialismus glauben. Mit dieser Hoffnung und der noch von seinen Bauhaus-Wurzeln beeinflussten Idee von einem Bauen für die Menschen setzt er sich in manch einer Situation listenreich gegen das Häckeldeckchen-Spießertum Ulbrichts oder Honeckers durch. Auf der anderen Seite kann er aber auch mit der Sprengung der alten Universitätskirche in Leipzig leben, um dort einen neuen Turm in Form eines Buches in den Himmel wachsen zu lassen, der bis heute das Stadtbild prägt.
All dies erzählt die Autorin nah an der Geschichte, die nämlich die der eigenen Familie ist. Sie ist die Tochter von Isa und somit die Enkelin von Heinrich und Isi. Der Erzählstil, der sich an vielen Stationen zwischen 1931 und 1995 chronologisch orientiert, erinnert mich eher an ein Dokudrama. Insofern schafft Florentine Anders Raum für eigene Wertungen der Lesenden. Ihr Schwerpunkt liegt oftmals eher bei Isi und Isa. Sie wollen auch selbst gestalten – sowohl ihr Leben als auch ihr Lebensumfeld. Isi möchte von Anfang an selbst als Architektin sein, Isa löst sich von ihrem Elternhaus. Beide aber bekommen viele Kinder und von der Utopie der Frau, die im Sozialismus die gleichen Chancen auf Teilhabe an Arbeit und Gesellschaft habe, bleibt nicht viel übrig. Auch das beeindruckt als Erkenntnis aus der Lektüre.
Eindrucksvoll ist im Übrigen auch die grafische Gestaltung des Einbands durch Kat Menschik. Sie zeigt eine Skyline der DDR-Moderne mit lebendigen Porträts der drei Hauptfiguren: Eben die Architektur und die Familie dahinter.