Familiengeheimnisse und Traumata

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

Antonia - genannt Toni – Petzold hat einen Arbeitsunfall, bei dem sie fast erblindet, als sie eine Wohnung entrümpelt. Durch eine Hornhauttransplantation kann sie wieder sehen. Sie bedankt sich bei der unbekannten Familie der Spenderin durch ein Schreiben an die Datenbank. Wenig später nimmt die Mutter Kontakt zu ihr auf, und sie fährt zu Familie Mertens in Frankfurt. Sie wird herzlich aufgenommen, vor allem von Susannes – Zsazsas - Mutter Clara, die sie bald liebt wie eine Tochter. Clara ist ganz anders als ihre eigene Mutter, die ihr stets so distanziert und kalt begegnete, dass sie sie nie anders als “Brigitte“ genannt hat. Clara beauftragt sie, die Wohnung der Tochter auszuräumen, und durch die Dinge, die sie dort findet, taucht sie in das Leben der jungen Frau ein. Nur deren Schwester Evelyn begegnet ihr feindselig, vermutlich, weil sie zur Konkurrentin um die Liebe der Mutter geworden ist und sogar ein Verhältnis mit dem Ex-Verlobten der Schwester anfängt. Toni wundert sich über den unermesslichen Reichtum der Familie Mertens und stellt Nachforschungen an. Sie findet heraus, dass es Geheimnisse in dieser Familie gibt, und zwar nicht nur um die Todesursache der Tochter. Gleichzeitig wird ihr bewusst, dass es auch in ihrer eigenen Familie Dinge gibt, über die nie gesprochen wurde, z.B. warum der Großmutter das Sorgerecht übertragen wurde, als Toni fünf war und sie erst mit zwölf zu den Eltern zurückkehrte. In der Erzählgegenwart ist ein Verbrechen geschehen, wodurch die Wohnung der Eltern zum Tatort wurde und versiegelt ist. Toni verschafft sich Zugang, u.a. um nach einem Spenderausweis zu suchen, denn die Mutter liegt schwer verletzt im Koma.
Die Geschichte hat eine raffinierte Zeitstruktur, denn sie beginnt im Oktober 2019 und holt die vergangenen 6 Monate bis zur Gegenwart nach. Erzählt werden die Geschichten zweier Familien, aber es geht auch um Traumaverarbeitung und –vererbung, um Organspende, vor allem um die psychischen Veränderungen beim Empfänger durch eine Transplantation von Gewebe oder ganzen Organen, außerdem um Raubkunst und Restitution im Zusammenhang mit der Nazizeit. Man verfolgt gespannt, wie Toni alle Geheimnisse lüftet und endlich auch begreift, dass ihre wiederkehrenden Albträume nichts mit der Transplantation, sondern mit der Verarbeitung von Traumata zu tun haben. “Die andere Tochter“ ist ein anspruchsvoller Roman mit Krimielementen und wird dadurch zu einer spannenden Lektüre. Auch seine sprachliche Qualität hat mich überzeugt.