Spannend und komplex

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marialein Avatar

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Ein Arbeitsunfall ändert Tonis Leben komplett: Durch Kontakt mit einer ätzenden Flüssigkeit werden ihre Augen stark beschädigt. Wenn sie keine Cornea gespendet bekommt, kann sie nie wieder sehen. Doch sie hat Glück und bekommt die Cornea einer jungen Frau, die einige Monate zuvor gestorben ist. Aus Dankbarkeit, dass sie wieder sehen kann, schreibt sie den Angehörigen der Toten einen Brief. Als die Mutter der Verstorbenen Kontakt mit ihr aufnimmt, ändert sich Tonis Leben von Grund auf.

Dass dieser Kontakt nicht gut ausgeht, erfährt der Leser schon vom ersten Kapitel an: Der eine Erzählstrang aus der Ich-Perspektive begleitet Toni bei der Suche nach einer Patientenverfügung in der Wohnung ihrer Eltern, denn Tonis Mutter ist gestorben. Die Flashbacks zurück zur Zeit der Begegnung mit Clara Mertens, der Mutter der Corneaspenderin, werden in der dritten Person und in der Vergangenheitsform erzählt. Diese beiden Stränge greifen im perfekten Wechsel geschickt ineinander und erzeugen eine einmalige Spannung. Nach und nach offenbaren sie, was Toni nach der Begegnung mit Clara widerfahren ist, wie sie in das Unglück dieser Familie, die so viel anders und auf den ersten Blick besser ist als ihre eigene, völlig unerwartet hineinschlittert und so leicht nicht mehr herauskommt.

Besonders gut gefällt mir dabei, wie weit es dem Leser überlassen wird, zu beurteilen, ob Toni es hier mit übernatürlichen Ereignissen zu tun hat – oder es doch eine ganz rationale Erklärung für das alles gibt. Nimmt die tote Spenderin wirklich Kontakt mit Toni auf? Lebt gar in ihr weiter? Oder sind das nicht doch alles Nebenwirkungen der Medikamente?

Sehr gelungen finde ich auch, wie das Thema Kindheitstrauma und Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit, letztlich auch die Suche nach sich selbst, hier umgesetzt ist. Zugegeben, an spannenden Themen mangelt es in diesem Roman ohnehin nicht, aber diese Aufarbeitung empfinde ich als die Kernproblematik des ganzen Buches, auch wenn dieses anfangs nur dezent durchschimmert.

Entsprechend finde ich das Ende auch sehr passend und hoffnungsfroh. Es rundet die ganze spannende Geschichte sehr unaufgeregt ab und führt alle Fäden gekonnt wieder zusammen. Eine klare Leseempfehlung.