Ich möchte sofort weiterlesen
Ich glaube, ich war noch nie so traurig, am Ende einer Leseprobe anzukommen und nicht weiterlesen zu können. Mich begeistert bisher alles an Kaleb Erdmanns Romanprojekt "Die Ausweichschule". Zum einen vereint es zwei Themenbereiche, die ich unglaublich interessant finde: Schulamokläufe (Was bringt eine Person dazu, eines Tages bewaffnet in eine Schule zu gehen und Menschen zu töten?) und Erinnerungen (Wie entstehen sie, wie verändern sie sich mit der Zeit und was macht das mit uns?). Die vorangestellten Zitate passen perfekt zu den Fragestellungen, ob sich Ereignisse tatsächlich so abgespielt haben, wie wir sie erinnern, und ob es richtig ist, Gewalttaten als Basis für Kunst zu benutzen. Ich bin sehr gespannt, welche Antworten der Autor im Laufe des Textes darauf findet. Mir gefällt sehr, wie er seine Beschäftigung mit dem Amoklauf von Anfang an reflektiert und die Lesenden mit in den Schreib- und Veröffentlichungsprozess nimmt. Erdmanns Schreibstil begeistert mich ungemein. Er schafft es gleichzeitig ehrlich, alltagsnah, aber keineswegs banal zu schreiben und passende Ausdrücke und Bilder zu finden, die mich sofort in die Situation hineinversetzen, sei es ein unangenehmes Gespräch mit einem Verlagsmitarbeiter, ein Telefonat mit einem Dramatiker oder eine Zugfahrt nach Bamberg. Egal, wie verzerrt seine Erinnerung sein mag, ich nehme dem Autor tatsächlich ab, dass all das genauso passiert ist, und bin gespannt, wohin seine Reise in die Vergangenheit und seine Reflexionen über das Erinnern und Schreiben noch führen werden.