Kann man ausweichen?
Ich habe dieses Buch im Rahmen einer Vorablese-Aktion gewonnen, was mich sehr freut, denn der Titel hätte mich im Buchladen nicht spontan abgeholt. Womit ich dann aber eindeutig etwas verpasst hätte. Dieser Roman im Biografiegewand oder die Biografie im Romangewand mit dem Thema Amoklauf von Erfurt ist etwas sehr besonderes. Es enthält die Geschichte des Entstehens des Romans "Unterm Herrenberg", den es wahrscheinlich gar nicht gibt und falls doch, läge er in einer Schublade. Auf relativ überschaubaren 298 Seiten werden durch dessen Entstehungsberichts hier verschiedenste Themen im Zusammenhang mit dem Amoklauf angesprochen,überlegt, verworfen - und das alles absolut persönlich. Da ist die Ebene des jungen Schriftstellers in einer Branche, die sich nach Lesergeschmäckern auszurichten hat, um schnell und einfach erfolgreich zu sein und sich fragen muss, wieviel seiner Ideale er dafür opfert und wie allgemein er schreiben möchte. Dann ist die Ebene des Zeugens einer Straftat, der an seinen Erinnerungen zweifelt und versucht, die Kontrolle durch journalistischen Umgang mit dem Thema Amok in Erfurt zu bekommen und doch immer wieder als Zeuge mit seinen Panikattacken konfrontiert wird. Es gibt die Sicht als Patient von langjährigen Psychotherapien mit erlernten Skills und Erkenntnissen und als ehemaliger Schulfreund eines Mitschülers, der angibt, seinerseits kein Problem mit der gemeinsamen Erfahrung zu haben. Er ist aber auch kritischer Leser von anderen Abhandlungen über die Tat und Fan eines anderen Autors, der sich mit seinen Fiktionen zu anderen Taten selber traumatisiert zu haben scheint. Natürlich wird der Amoklauf von Erfurt mit seinen Umständen selber geschildert, aber anhand des offiziellen Untersuchungsberichtes und somit sehr unaufgeregt und sachlich. Die Begleitgedanken hierzu liefert der Autor, aber offensichtlich subjektiv und nicht immer logisch, wie man als Mensch halt so denkt. Die Ausweichschule selber ist ein Gebäude, aber ich denke eher, dass der Titel hier aus einem tieferen Grund gewählt wurde. Der Autor fragt sich selber, vor wem oder was man ausweicht und wieso Füllspachtel und Farbe nicht ausgereicht hätten, um das Gutenberggymnasium wieder herzurichten. Die Ausweichschule ist eng, überfüllt und schlecht gelegen, seltsam, dass man das traumatisierten Schülern und Lehrern aufbürdet. Also vor wem oder was weicht man tatsächlich aus? Eine große Stärke des Romans ist der Blick aufs Menschliche: das Erinnerungen nicht in Stein gemeißelt sind, dass die Reaktionen auf solches Grauen völlig verschieden sein können, dass Essen mehr als Nahrung ist, dass es manchmal nötig zu sein scheint, die Geschichte spannender zu machen, dass auch Täter Kerzen und Rosen bekommen und dass es keine einfachen Antworten gibt. Und am Ende steht die Gewöhnung oder Resignation oder Abgeklärtheit, die dennoch eine Ruhe gibt ?!
Es handelt sich trotz seines Inhaltes um ein durchaus humorvolles Buch, da die handelnden Personen so einige liebevolle Macken haben oder wunderliche Dinge tun. Ich sage nur die Szene mit der Performance oder Gurkenwasserflaschen.
Ein faszinierendes Buch, wenn man nicht nur unterhalten sein will, sondern auf der menschlichen Ebene nachdenken möchte, ohne hochphilosophisch werden zu müssen.
Es handelt sich trotz seines Inhaltes um ein durchaus humorvolles Buch, da die handelnden Personen so einige liebevolle Macken haben oder wunderliche Dinge tun. Ich sage nur die Szene mit der Performance oder Gurkenwasserflaschen.
Ein faszinierendes Buch, wenn man nicht nur unterhalten sein will, sondern auf der menschlichen Ebene nachdenken möchte, ohne hochphilosophisch werden zu müssen.