vielschichtiger und bedrückender Roman

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Kaleb Erdmanns Die Ausweichschule ist ein Buch, das den schmerzhaften Versuch unternimmt, das Amokgeschehen von Erfurt auf eine literarisch wie dokumentarisch ungewöhnliche Weise zu verarbeiten. Der Autor verzichtet auf eine lineare Erzählung und arbeitet stattdessen mit verschiedenen Ebenen: Theaterinszenierungen, Gespräche mit einem Verlag, Interviews und Dokumente verschränken sich zu einem vielschichtigen Text. Diese Wechsel sind zwar herausfordernd und können das Lesen stellenweise anstrengend machen, doch gerade darin liegt die besondere Stärke des Buches. Erdmann zwingt den Leser, sich nicht einfach zurückzulehnen, sondern aktiv mitzudenken und sich den Brüchen und Lücken der Verarbeitung zu stellen. Besonders die Protokolle wirken erschütternd, weil sie den Tag des Amoks in aller Nüchternheit vor Augen führen und so eine beklemmende Intensität entfalten. Der Begriff der „Ausweichschule“ eröffnet dabei einen zentralen Denkraum: Ausweichen wovor – vor der Tat, vor den Toten, vor der Erinnerung? Diese Fragestellung durchzieht das Buch wie ein Echo und macht deutlich, dass Verarbeitung nie einfach ist, sondern immer auch mit Verdrängung, Distanzierung und Neuinterpretation verbunden bleibt. Gerade dieser Balanceakt zwischen Nähe und Distanz, zwischen Dokument und Fiktion, macht Die Ausweichschule zu einem vielschichtigen, bedrückenden, aber auch wichtigen Werk, das Raum für Reflexion und Interpretation eröffnet.