Die Berufene, -ein perfektes Horrorszenario

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Der Roman "Die Berufene" von M. R. Carey spielt im England der Zukunft, -in dieser Dystopie bildet zunächst die zehnjährige Melanie die Hauptfigur, aus deren Blickwinkel das Geschehen vorgestellt wird. Auf einem Stützpunkt werden sie und andere Kinder in Zellen gehalten und jeden Morgen, an fahrbare Stühle gefesselt, in einen Klassenraum gefahren. Diese menschenunwürdige Haltung und Behandlung der Kinder, das Unverständnis für die Situation und die merkwürdigen Aktionen, wie das Duschen in Chemikalien, rufen auch beim Leser eine Angespanntheit und vor allem Sympathien für Melanie hervor, weshalb man weiter liest, in der Hoffnung, zu verstehen, was vor sich geht. Dass die Lehrerin Justineau die einzige Erwachsene zu sein scheint, die sich den Kindern nähert, indem sie sie im Unterricht nicht nur schulisch fördert, sondern auch menschlich behandelt, auf sie eingeht und ihnen zuhört, weshalb Melanie von Anfang an eine Liebe für sie empfindet, die nicht nur immer stärker wird, sondern auch eine Art Hoffnungsschimmer bzw. Sinn in dieses trostlose und unverständliche Leben auf dem Stützpunkt bringt, macht sie auch automatisch beim Leser beliebt und man freut sich mit Melanie, wenn wieder ein "Ms. Justineau-Tag" ist.
Nach und nach verschwinden immer mehr Kinder, die nicht mehr in den Unterricht zurückkehren und von denen niemand weiß, wohin sie gekommen sind. Zumindest weiß Melanie es nicht und die Erwachsenen sprechen nicht darüber. Die undurchsichtige Tristesse verstärkt sich nur, es stellen sich mit jedem beschriebenen Tag auf der Militärbasis mehr Fragen und die Unfreundlichkeit der Soldaten, besonders von Sergeant Parks, stößt einem immer mehr auf. Dafür wächst die Liebe Melanies zu Justineau immer mehr an und kommt schon der Vergötterung dieser Frau nahe, wobei sich das vermutlich aus dem menschlichen Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit ergibt, wonach auch Melanie sich sehnt, die zusammen mit den anderen Kindern nach Eltern, Sinn und Tod zu fragen beginnt, worauf die nicht zufriedenstellenden Antworten der Lehrer für eine Steigerung des Grundgefühls der Unzufriedenheit und der bösen Vorahnung und somit der Spannung sorgen.

Eines Tages wird Melanie aus ihrer Zelle gefahren, diesmal jedoch nicht in die Richtung des Klassenraums, sondern einen ihr unbekannten Weg entlang, geradewegs in das Labor von Dr. Caldwell, die, wie Melanie nun feststellt, die Kinder als Versuchsobjekte missbraucht, um Proben ihres Gehirns nehmen und sie daraufhin untersuchen zu können. Weshalb bleibt für Melanie noch unklar, allerdings wird die Sezierung im letzten Moment aufgehalten. Einmal durch Ms. Justineau, die plötzlich Melanie nicht mehr in ihrem Unterricht entdeckt und ahnt, dass Dr. Caldwell nun ihr nächstes Versuchsobjekt fordert, vor allem aber auch durch den Angriff von Hungernden und Schrottwühlern auf die Militärbasis.

Diese "Hungernden" sind von Parasiten befallene Menschen, die eigentlich nur noch in ihren Hüllen existieren und den Wirt spielen, weil sich der Pilz von ihrem Gehirn ernährt, der menschliche Regungen verkommen lässt und das animalische Hungergefühl verstärkt. Abgesehen haben es diese Zombies auf Menschen, deren Gedärme sie fressen wollen, die allerdings nur auf Reize wie Geräusche, schnelle Bewegungen und menschliche Gerüche reagieren und ansonsten völlig blind für die Welt um sich herum und für andere Hungernde sind. Die Welt wie wir sie kennen, existiert also nicht mehr und ist bevölkert von diesen Hungernden und den Schrottwühlern, die zwar noch Menschen sind, aber nur auf ihre Überleben aus sind und darum ebenfalls eine Gefahr darstellen.

Nach dem Überfall der Militärstation können nur Melanie, Ms. Justineau, Sergeant Parks, Dr. Caldwell und Private Gallagher fliehen und machen sich nun auf den Weg nach Beacon, wo sie sich die letzte Zuflucht der Menschen erhoffen. Auf diesem Weg lernen sie nicht nur das tatsächliche Ausmaß des Virus' kennen, sondern vor allem auch einander immer mehr, was letztlich auch jeden einzelnen an seine persönlichen Grenzen führt...

Ich finde vor allem das Beleuchten der einzelnen Perspektiven sehr interessant. Dadurch, dass das Geschehen auch immer aus den verschiedenen Standpunkten der kleinen Gruppe beschrieben wird, versteht man die einzelnen Figuren und ihre Handlungsweisen viel besser, man erkennt die jeweiligen Beweggründe und die verborgenen Ängste und Lasten und baut unweigerlich Sympathien auf. Selbst eine so skrupellose Figur wie Dr. Caldwell lernt man zwar nicht lieben, aber man versteht schon eher, weshalb sie tut, was sie tut und dass es nicht nur um ihren Stolz, sondern auch um das Retten der Menschheit geht.

Allen voran steht natürlich Melanie, die man von Anfang an ins Herz schließt und die mit ihren 10 Jahren so aufopfernd, nüchtern abwägend, frühreif, aber auch sensibel, beschützend, liebevoll und vor allem so wahnsinnig intelligent und weitsichtig ist, dass man mit ihr mitfiebert, mitleidet und letztlich alle ihre weisen und klugen Entscheidungen gut heißt.

Letztlich ist dies zwar eine Dystopie, ein Zombie-Roman und teilweise auch ein ziemlich ekliges Szenario, aber diese Geschichte ist so vielschichtig, so clever erklärt und so mitreißend, vor allem durch die Wahl der Hauptfiguren,dass man es trotz teilweise langer Erklärungen bio-chemischer Prozesse, vor allem seitens Dr. Caldwell, versteht und nicht aus der Hand legen will. Die Spannung, die auch für die Figuren immer vorhanden ist, lässt auch beim Leser nie nach und durch den Schreibstil im Präsens, befindet man sich beim Lesen immer mitten im Geschehen und weiß darum auch nie mehr als die Figuren selber, weshalb man sich mit ihnen noch enger verbunden fühlt.

Alles in allem ein Roman, dem ich 5 Sterne geben möchte und den ich nur weiterempfehlen kann.