Die Kraft der Geschichten in Zeiten des Vergessens

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
herzvollseiten Avatar

Von

Schon direkt zu Beginn hat mich „Die Bibliothek meines Großvaters“ tief bewegt. Der Roman beginnt in einer melancholischen, aber liebevollen Atmosphäre, in der Kaede ihren an Lewy-Körper-Demenz erkrankten Großvater besucht. Was zunächst wie eine schlichte Alltagsszene wirkt, wird schnell zu einer zarten, tiefgründigen Erzählung über Erinnerung, Identität und die Kraft der Fantasie.
Konishi schreibt ruhig, poetisch und mit einem feinen Gespür für Zwischentöne. Besonders berührt hat mich die Szene mit dem blauen Tiger. Eine Halluzination, die zur Metapher für die Krankheit, aber auch für die ungebrochene Vorstellungskraft des Großvaters wird. Die Dialoge zwischen Kaede und ihm wirken authentisch und gleichzeitig fast magisch. Man spürt ihre Verbundenheit ebenso wie ihre Verzweiflung über den schleichenden Verlust.
Die Liebe zur Literatur, insbesondere Kriminalliteratur, zieht sich als faszinierender roter Faden durch die Geschichte. Kaedes Faszination für Bücher, die gemeinsame Erinnerung an das Café Mon Chéri und die alten Lesegewohnheiten ihres Großvaters verleihen der Erzählung Tiefe. Besonders gelungen finde ich, wie Konishi zwischen Realität, Erinnerung und Halluzination wechselt, ohne jemals ins Kitschige abzurutschen.

Diese Leseprobe hat mich nicht nur neugierig gemacht, sondern auch emotional berührt. Ich bin gespannt, wie sich Kaedes Suche nach Wahrheit und Verbindung im weiteren Verlauf entfaltet und welche Rolle die Bücher in dieser Reise noch spielen werden. Ein leises, feinsinniges Buch über das Altern, das Vergessen und das, was bleibt.