Anders als erwartet: Krimirätsel statt Buchmagie

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
claraveritas Avatar

Von

Masateru Konishis „Die Bibliothek meines Großvaters“ ist auf den ersten Blick ein echter Hingucker: wunderschönes Cover, zauberhafter Farbschnitt, und der Klappentext verspricht die Magie von Büchern und Geschichten. Ich ging also von einer Familiengeschichte aus, in der Bücher die Figuren emotional berühren und die Handlung vorantreiben. Tatsächlich dreht sich die Geschichte aber fast ausschließlich um Krimis und das Lösen von Rätseln – das hatte ich so nicht erwartet.

Die Geschichte folgt Kaede, einer jungen Lehrerin, die viel Zeit mit ihrem demenzkranken Großvater verbringt. Ihre Gespräche über Kriminalfälle zeigen die enge Bindung zwischen den beiden, ziehen sich aber oft in die Länge. Viel Handlung passiert nicht, und bis auf den Großvater bleiben die anderen Figuren lange distanziert und schwer greifbar. Erst gegen Ende wird es spannender, wenn direkt Kriminalfälle in der Handlung eingebaut sind – da merkt man, dass der Autor durchaus Spannung erzeugen kann.

Besonders die Beziehung zwischen Kaede und ihrem Großvater hat mich berührt. Trotz seiner Demenz teilen sie eine gemeinsame Leidenschaft, die Nähe schafft. Die Demenz wird sensibel beschrieben, die Einblicke in die Herausforderungen rühren. Auch die Hintergrundgeschichte um Kaedes Mutter bringt emotionale Tiefe, wirkt aber etwas plötzlich eingefügt. Die japanische Kultur wird immer wieder eingebunden, das ist interessant, aber ein kleines Glossar hätte mir geholfen, manche Begriffe und Anspielungen besser einzuordnen.

Insgesamt bleibt ein gemischtes Gefühl. Der Roman ist weder ein klassischer Krimi noch ein richtiges Familiendrama, sondern irgendwas dazwischen. Mir fehlte ein klarer roter Faden, und die Spannung kommt erst spät. Die versprochene Kraft der Bücher spielt leider nur eine Nebenrolle. Trotzdem hat das Buch seine Momente: Die Beziehung zwischen Kaede und ihrem Großvater ist herzerwärmend, und die Einblicke in Demenz und japanische Kultur sind echt bereichernd. Für Krimi-Fans oder Leser*innen, die eine einfühlsame Familiengeschichte mögen, ist es definitiv einen Blick wert. Für mich hat der Roman viel Potenzial, aber die Erwartungen, die der deutsche Titel und der Klappentext wecken, erfüllt er nicht ganz.