Es gibt Bücher, die man liest – und es gibt Bücher, die einen lesen.

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schildi_88 Avatar

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Es gibt Bücher, die man liest – und es gibt Bücher, die einen lesen. Die Bucht von Liz Webb gehört zur zweiten Kategorie. Dieses psychologisch dichte Meisterwerk hat mich nicht nur unterhalten, es hat mich verschlungen, geschüttelt, verwirrt – und am Ende begeistert ausgespuckt.

Liz Webb versteht es, eine Atmosphäre zu schaffen, die sich wie Nebel auf die Schultern legt. Die kleine Insel Langer, auf der Nancy und ihr Partner Calder einen Neuanfang wagen wollen, wirkt zunächst wie ein Rückzugsort – windgepeitscht, rau, abgeschieden. Doch schon bald kippt die Idylle ins Unheimliche. Es ist, als hätte die Insel ein Eigenleben. Als würde sie ihre dunklen Geschichten nicht vergessen, sondern still unter dem Schiefer vergraben halten – bis sie wieder ans Licht gezerrt werden.

Und dann ist da Calder. Der Mann, den Nancy liebt, der Mann, der nach einem beinahe tödlichen Unfall im eiskalten Wasser wie durch ein Wunder überlebt – aber nicht mehr derselbe ist. Was ist geschehen in der Tiefe? Wer ist dieser Mann, der da in ihr Leben zurückkehrt, mit demselben Gesicht, aber einem fremden Blick?

Was folgt, ist ein fein gesponnenes Psychospiel zwischen Wahn und Wahrheit, Schuld und Sühne. Webb führt uns durch ein Labyrinth aus Misstrauen, Andeutungen und plötzlichen Enthüllungen. Die Figuren – allen voran Nancy – sind greifbar, fehlerhaft, menschlich. Ihre Gedanken, Zweifel und Ängste weben sich unmittelbar in den Lesefluss ein, als wären sie unsere eigenen. Und doch bleibt man ständig auf der Hut – denn was ist hier real, und was entspringt bloß Nancys Vorstellungskraft?

Die Stärke dieses Thrillers liegt nicht in blutigen Szenen oder reißerischer Action, sondern in seiner suggestiven Kraft. In der Dichte der Atmosphäre. In dem nagenden Gefühl, dass etwas nicht stimmt – nicht mit Calder, nicht mit der Insel, vielleicht nicht einmal mit Nancy selbst.

Das Finale? Ein dunkler, elektrischer Knall. Überraschend und doch logisch. Gänsehautgarantie.

Für mich ist Die Bucht ein brillantes Beispiel dafür, wie moderne Spannungsliteratur funktionieren kann: klug komponiert, sprachlich stark, mit einem Sog, der einen erst auf der letzten Seite loslässt. Wer gern psychologische Tiefe, dichte Atmosphäre und das Prickeln des Ungewissen liebt, sollte dieses Buch auf keinen Fall verpassen.

Fazit: Die Bucht ist nicht nur ein Thriller – es ist ein seelischer Tauchgang in eiskalte Gewässer. Und man kommt verändert wieder hoch.