Sinnsuche

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lesemöwe Avatar

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Der Ausgangspunkt der Geschichte in dem Roman "Die Canterbury Schwestern" von Kim Wright, die die Ich-Erzählerin Che zu erzählen beginnt, ist kein schöner ist, da ihre Mutter stirbt und sie plötzlich ganz alleine ist und ihr dies plötzlich mit brachialer Härte bewusst wird.

Und doch wird trotz des traurigen Einstiegs schon ganz schnell deutlich, dass die Ich-Erzählerin kurzweilig und mit einer gehörigen Portion Witz und Selbstironie erzählt:"Und was mich betrifft, ich heiße Che. Ich weiß. Das ist absolut lächerlich, und dabei ist es nicht mal ein Spitzname. Ich bekam ihn zu Ehren des kubanischen Revolutionärs Che Guevara am Tag nach seiner Hinrichtung durch ein bolivianisches Erschießungskommando. Meine Mutter behauptete immer, der Schock über seine Ermordung habe bei ihr die Wehen ausgelöst, aber das ist auch nur wieder ein Teil ihrer komplizierten persönlichen Mythologie." (Seite 9).

Die Ich-Erzählerin bekommt von ihrer Mutter nach deren Tod den Auftrag, sie in Canterbury zu begraben, d.h. ihre Asche dort zu verstreuen. Da Che ihr noch zu Lebzeiten versprochen hat, diese Pilgertour mit ihr nachzuholen, ist sie nun in der Pflicht, dies auch einzuhalten, selbst wenn ihr nicht wirklich der Sinn danach steht, dies zu tun. Doch als dann ihr Lebensgefährte völlig unvorhergesehen per Brief mit ihr Schluss macht, kommt sie zu dem Entschluss, doch nach Canterbury zu pilgern. Und so bricht sie auf und fliegt nach Heathrow, um in London die gebuchte Pilgerreise anzutreten. Mit im Gepäck sind ihre eigenen Gedanken "Was ist der Sinn des Lebens?" (Seite 28) und "Wenn ich meinen letzten Schluck genommen habe, wird eine Geschichte ihren Anfang nehmen" (Seite 37).

Zusammen mit der Reiseleiterin Tess, die sich als Gastgeberin bezeichnet, sind es insgesamt 9 Frauen, die sich gemeinsam auf die Reise machen. Neun Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können. Gemeinsam beschließen sie, "diesen Weg im Geiste der Canterbury Tales zurückzulegen" (Seite 56 f.) und sich Geschichten zu erzählen, "Geschichten (...), die wir erzählen wollen. Wie Leute es schaffen... Oh, ihr wisst schon, alles. Liebe.Tod. Wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird, obwohl man sich sicher glaubt. Wie man in dieser beschissenen Welt sein Herz lebendig hält. Ihr wisst schon, alles eben." (Seite 59).

Das Titelbild einer Landschaft in den klaren Farben gelb, grün und blau- in Nuancen schichtweise aufgebaut- passt gut zum Inhalt des Romans, denn die Hauptfiguren werden Schicht für Schicht ihr äußeres Ich ablegen und einander ihr wahres Ich zeigen. Auch der Titel passt gut: Die Canterbury Schwestern. Eine zufällige Gemeinschaft, in der Nähe und Verbundenheit entsteht

Ein einerseits unterhaltsamer, andererseits aber auch zum Nachdenken anregender Roman mit vielen schönen Sätzen: "Glück in dem Moment, da du es empfindest, als solches zu erkennen, ist schwer. Du gibst ihm in dem Moment einen anderen Namen, aber später überlegst du: 'Moment mal. Vielleicht war das mein Glücksmoment, und ich habe ihn verpasst.'" (Seite 128 f.) / "Mir wird klar, dass ich viel zu voreilig damit war, jede Fau in ihre kleine Schublade zu stecken. Meine Gedächtnisstützen werden ihnen ganz und gar nicht gerecht. Sie tragen zu viele Geschichten in sich" (Seite 365). Ein Roman, der einlädt, die Frauen auf ihrer Reise zu begleiten.