Wie aus Fremden Freundinnen werden

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Che Milan ereilen zwei Schicksale zur gleichen Zeit: Ihre Mutter Diana verstirbt und ihr Freund Ned lässt sie für eine andere sitzen. Der Asche ihrer Mutter liegt eine Nachricht bei. Sie erinnert Che an ihr getroffenes Abkommen, ihre Asche in Canterbury zu verstreuen. Also sitzt Che kurzerhand im Flieger Richtung Großbritannien. Auf ihrer Pilgerreise trifft Che acht weitere Frauen, die diesen Weg aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls beschreiten wollen. In Manier der Canterbury Tales aus dem 14. Jahrhundert wie sie einst Chaucer berichtete, erzählen die Frauen ihre ganz eigene Geschichte. Die beste soll am Ende durch ein kostenloses Mahl gewürdigt werden.

Der Schreibstil war trotz der Einfachheit sehr mitreißend, sodass ich durch die Seiten geflogen bin. Kim Wright ist den Canterbury Trail gewandert und das merkt man. Sie greift Restaurants, Pubs, oder Sehenswürdigkeiten auf, die es wirklich gibt und in denen sie einst selbst einkehrte. Dadurch wird die Reise so authentisch und die Autorin bringt den Leser mitten auf den Pfad zwischen den Pilgerinnen, als ein weiteres Mitglied dieser ungewöhnlichen Gruppe.
Ich habe es sehr genossen, die unterschiedlichen Charaktere kennenzulernen, als sie nach und nach mehr von sich preisgaben. Und es war sehr überraschend, wohin ihre Geschichten letztendlich führten. Dabei schenkt die Autorin jeder Frau eine eigene starke Stimme, sodass sie leicht zu unterscheiden sind. Es gab traurige, aber auch lustige Geschichten, wahre Begebenheiten oder nacherzählte Fabeln, aber alle wurden aus vollstem Herzen geteilt. Besonders Silvias Geschichte hat mich sehr berührt. Es zeugt von großer Charakterstärke ein Leben auf eine solche Weise zu führen, wie sie es jetzt tut. Für viele, einschließlich mich, wahrscheinlich unvorstellbar.
Die Notiz von Ches Mutter, in der es hieß "Für eine Heilung ist es nie zu spät", bezog sich auf ihre Tochter und am Ende der Reise verabschieden wir uns von einer reiferen, stärkeren Che, die nun besser auf die Zukunft vorbereitet scheint. Sie kann ihr bisheriges Leben aus einer anderen Perspektive sehen und wirkt noch einmal gereift. Und auch die anderen Frauen fanden auf dieser Reise zu sich und auch den anderen. Einige Geschichten führten dazu, dass ich die Person nun mit völlig anderen Augen sah, als zu Beginn. So kann der äußere Schein trügen. Was auch Che bemerkt. Zu schnell wurden Personen in Schubladen gesteckt ohne sie wahrhaftig zu kennen. Die Geschichten und Beichten haben ein Band zwischen ihnen geflochten. Mit jedem Schritt wurden aus Fremden Freundinnen. Ich habe das Gefühl, dass jede einzelne Frau von der persönlichen Geschichte der jeweils Anderen etwas gelernt hat und sie diese Erfahrungen und Erkenntnisse auf ihrer weiteren Lebensreise begleiten werden. Ein schöner Satz von Che ist mir dabei im Gedächtnis geblieben, der sich auf alle Pilgerinnen (und auch die LeserInnen) übertragen lässt: "Ich werde morgen und auch danach jeden Tag ein paar Schritte auf Canterbury zugehen, egal, an welchem Ort der Welt ich mich befinde."