Wunderbar atmosphärisch und fesselnd geschrieben!

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Als 'alte Berliner Pflanze', die ich bin, geht mir immer ein wenig das Herz auf, wenn ich den Dialekt aus meiner geliebten Heimat, die typische 'Berliner Schnauze' in einem Roman entdecke. Meiner Meinung nach gerhört er zu den charmantesten deutschen Mundarten und ist für ein Werk, das in Berlin spielt, unerlässlich - alles andere wäre nicht authentisch. Hierfür also vorab schon mal ein Lob! Die 'Charité war mir von klein auf ein Begriff, sie gehört zu Berlin so fix wie der 'Alex' und die 'Goldelse' und ich finde es wundervoll, dass mal nicht der schon vielfach in Romanen thematisierte Konsumtempel KaDeWe (auch wenn es natürlich DAS Shopping-Erlebnis der City ist) zum Fokus einer Geschichte gemacht wurde; die Charité verdient nämlich sehr wohl ihre eigene Beachtung.
Das dezente, aber durch die abgebildete Arbeitstracht aussagefähige Cover ist sehr treffend gewählt worden. Da ich den Vorgängerband nicht kannte, war ich gespannt, ob ich mich wohl problemlos in die Handlung hineinlesen und eventuelle Zusammenhänge herstellen können würde. Schnell stellt eich erleichtert fest, dass man als Leser schon nach wenigen Zeilen - Rahels Ankunft in Berlin - vollständig in die Story eintaucht. Wie aufregend muss dieser Tag für die junge Frau gewesen sein! Ihre erste Stelle als 'Frau Doktor' - eine enorme Leistung, vor allem zur damaligen Zeit. Umso herausragender, dass es bereits damals schon so vorausschauende Menschen wie ihren Großvater und Vater gegeben hat, denen Bildung für Frauen als selbstverständlich und wichtig erschien und die Rahel stets diesbezüglich ermutigt haben. Ich hatte immer angenommen, dass Deutschland in dieser Angelegenheit ganz vorne mit dabei gewesen wäre - aber tatsächlich war die Schweiz uns voraus, interessant! In jedem Fall ist es ein Glück gewesen für Rahel, dass sie in Zürich hatte studieren können. Apropos Glück: auch der freundliche Kutscher war ein guter Start ins neue Alltagsleben für sie. Ohne seine bereitwillige Auskunft wäre Rahel sicher eine Weile umhergeirrt, die Stadt ist schließlich groß. Das City-Flair ist wunderbar eingefangen worden - die Kutschen, Allen, prächtigen Stadtvillen...ein Traum! Dieser sehr bildhafte Schreibstil gefällt mir unheimlich gut!
Wie anders ist doch die Situation Barbaras, die auf der Suche nach einer Anstellung durch die Straßen streift. Es müssen schon enorm harte Zeiten gewesen sein - und dass, obwohl noch kein Krieg herrschte. Marlene tut mir unsagbar leid. Erst den geilebten Mann und dann noch eine kleine Tochter zu verlieren...das Ausmaß an Verzweiflung mag ich mir kaum vorstellen. Wie findet man in solchen Momenten die Kraft zum Weitermachen? Verständlich, dass sie sich über Barbaras Einzug gefreut hat. Von 'Schlafgängern' habe ich in anderen Romanen bereits gelesen; ein Zeichen dafür, wie groß die finanzielle Not der Menschen war. Der Begriff 'Trockenwohnen' war mir allerdings neu und hat mich absolut schockiert. Die gesundheitlichen Risiken liegen doch auf der Hand! Wahrscheinlich klopfen sich die Herren Vermieter noch selbstgefällig auf die Schulter, dass sie 'den Armen', die sonst gar keinen Schlafplatz hätten, überhaupt eine Unterkunft gewährt haben. Schlimm!
Hoffentlich trägt Frau Küfer Barbara das Lob des Herrn Direktors nicht nach und macht ihr fortan nicht das Leben schwer. Im Idealfall ist sie streng, aber fair - und dann wird Barbaras Fleiß sie gewiss davon überzeugen, dass es richtig gewesen war, ihr die Stelle zu geben. Welch eine enorme Erleichterung für Barbara - nun verlieren sie und ihre Verwandten nicht ihre Wohnung.
Ich bin schon gespannt, wie Rahel und Barbara sich kennenlernen werden...und ob der attraktive Theodor noch eine Rolle spielen wird. Eventuell kehrt er ja zurück nach Berlin..?