Tokito: eine grausame und magische Stadt zugleich

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
nathi_taiwan Avatar

Von

Drei Waisenkinder, eine Stadt voller blutleerer Leichen und die Rückkehr einer Macht, die für immer hätte versiegelt bleiben sollen

Tokito ist eine undankbare und grausame Stadt. Regiert wird sie von fünf Clanfürstinnen und Clanfürsten, den Oberhäupter ihres jeweiligen Clans. Lotus, Affen, Weiße Hand, Amphibien, Feder und die Streuner (ohne Oberhaupt). Es ist ein ständiger Kampf dieser Gruppen um die Vorherrschaft in bestimmten Distrikten, aber auch der Versuch einer wackligen Balance, da die Clans aufgrund ihrer verschiedenen Tätigkeiten und Talente aufeinander angewiesen sind.

Inmitten all dieses Durcheinanders lebt die kämpferische und aufbrausende Erin. Sie ist eine Clanlose und damit am untersten Ende der Nahrungskette. Das wird ihr eines Tages fast zum Verhängnis, doch im letzten Moment kann sie ihren Tod durch einen Pakt abwenden. Doch bald beschleichen sie Zweifel, ob der Tod nicht doch der dankbarere Ausweg gewesen wäre…

Auch die schöne Halbwaise Ryanne befindet sich in einer Zwickmühle. In ihrer Welt siegt man mit Schönheit und List, doch eigentlich sehnt sie sich nur nach Vertrauen und Geborgenheit. Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit bringt sie in eine aussichtslose Situation. Doch sie hat eine mächtige Gönnerin…

Zur selben Zeit durchwandert der attraktive Kiran die Straßen von Tokito. Er ist ein Phari und somit nicht Teil des Clanwesens, sondern Teil einer externen Gruppe, die für die Sicherheit in Tokito zuständig ist. Ihre Macht und Fähigkeiten ziehen die Phari aus ihren geistigen Verbindungen zu Spirits, doch das will Kiran nicht so ganz gelingen. Auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz in Tokito und unter den Phari, stößt er auf zwei junge Frauen, die nicht sind, wer sie vorgeben zu sein…

Caroline Brinkmann entwirft mit Tokito ein spannendes Urban Fantasy-Setting, in dem Grausamkeit und Überleben an der Tagesordnung stehen. Gleichzeitig schenkt sie der Stadt wunderliche Gestalten wie Methanwale, die durch den Himmel schweben, und Mojis, die Müllquallen, die dem gesamten Setting etwas Surreales und Magisches geben.

Der Einstieg gelingt sehr gut, da es sich sprachlich sehr flüssig lesen lässt und die Perspektivwechsel der drei Protas immer klar gekennzeichnet sind. Während mir Erin mit ihrer aufsässigen Art und Kiran mit seinem lässigen Verhalten von Anfang an sympathisch waren, habe ich Ryannes Beweggründe nicht immer unterstützen können – dennoch sind sie stimmig und zeichnen das Bild einer zutiefst verunsicherten Person. Während Erin sich das Buch hindurch über treu bleibt, hat mir ganz besonders Kirans Charakterentwicklung gefallen. Bis auf Mikko bleiben die meisten Nebenfiguren ein wenig blass und eindimensional, was für mich in Ordnung war, da es schon drei Hauptakteure und einen komplexen Plot gibt. Zudem geht es durch die kurzen Kapitel rasant in der Geschichte voran. Verstärkt wird dies noch durch wechselnde Perspektiven, sodass wir Stück für Stück die Puzzleteile des Geschehens zusammensetzen können, auch wenn ich persönlich lange Zeit auf dem Holzweg unterwegs war was unseren Oberschurken betrifft. Es geht sehr actionreich zu, doch hatte ich niemals das Gefühl, dass ich in der Handlung nicht mehr mitkomme, dass Wendungen unglaubwürdig sind oder dass die Geschichte überladen ist. Die Handlung ist in sich abgeschlossen, das Setting und die Charaktere bieten jedoch Platz für weitere Folgebände.

Was meine Kritikpunkte betrifft, so hätte ich gerne mehr über die einzelnen Clans, ihre Strukturen und Aufgaben oder auch allgemein über die Entstehung des Clanwesens, erfahren. Vielleicht kommt da in einem zweiten Teil mehr. Auch über die Phari und ihre ungewöhnliche Macht hätte ich gerne mehr Informationen erhalten – wie kommt ihr Pakt mit einem Spirit zustande, wie funktioniert ihre Art der Magie?

Was mich zwischenzeitlich verwirrte, war die Wahl für Begriffe und Namen. Während die meisten Namen - zumindest die meisten Vornamen - sowie einige Begriffe japanisch bzw. japanisch angehaucht sind (Geisha; Keikei), irritierte mich die lateinische und englische Begriffsgebung für Dämonen ("Umbra“) und die Lichtbringer („Spirits“) sowie die zauberspruchsähnliche Formel à la Harry Potter ("Fiat lux“ - Es werde Licht), die die Phari verwenden, um Magie zu wirken. Das wirkte für mich nicht ganz so harmonisch. Das sind jedoch schlussendlich nur Kleinigkeiten, die der Geschichte keinen Abbruch tun.

Da mir die Methanwale und Müllquallen ja besonders ans Herz gewachsen sind, hätte ich mir auch hier gewünscht, dass sie stärker in die Geschichte eingebaut worden wären, da sie ungewöhnliche und originelle Wesen sind, die man nicht aus anderen Fantasy-Welten kennt. Ein Moji, das Erin rettet, oder eine Flucht auf einem Methanwal wären ja meine persönlichen Highlights gewesen und hätten symbolisch große Aussagekraft gehabt.

Alles in allem hat mich dieser actionreiche und originelle Einstieg in die Welt von Tokito aber wirklich positiv überrascht, sodass ich dem Buch abschließend 4,5 Sterne gebe. Einen halben Stern musste ich leider abziehen, weil ich mir mehr Informationen zum world-building und zu den einzelnen Clans gewünscht hätte. Ich freue mich aber auf eine mögliche Fortsetzung, die diese Aspekte aufgreift!