Das Leben einer unangepassten Frau und Künstlerin im frühen 20. Jahrhundert

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
takabayashi Avatar

Von

Vor der Lektüre dieses Buches hatte ich noch nie etwas von Dame Edith Sitwell gehört.
Die Idee, diese literarische Biographie aus der Sicht ihrer (fiktiven) Zofe Jane erzählen zu lassen, hat mir gut gefallen. Dadurch wird auch das "Oben" versus "Unten"-Thema dieser Epoche angesprochen, so wie etwa in Downton Abbey, Gosford Park etc. Allerdings nimmt Jane sich sehr zurück, legt den Akzent auf das Leben ihrer Dienstherrin und erwähnt nur nebenbei ihr eigenes Leben, von dem sie immerhin 37 Jahre in deren Diensten verbringt.
Edith Sitwell ist die älteste Tochter einer britischen Adelsfamilie und ist ihren Eltern von Anfang an zu groß und zu häßlich, einfach weil ihr Aussehen nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Das wird ihr auch ständig vorgehalten, so dass sie schließlich selbst daran glaubt. Mit einer bestialischen Apparatur, an die man sie jahrelang fesselt, sollen diese negativen Merkmale korrigiert werden, um sie konkurrenzfähig für den Heiratsmarkt zu machen. Ihre jüngeren Brüder haben da etwas bessere Karten, aber generell lässt sich sagen, dass der Kontakt zwischen Eltern und Kindern wie beim Adel damals üblich, nicht sonderlich intensiv und herzlich war.
Mit der Heirat hat es nie geklappt, was Edith aber wohl auch nicht übermäßig bedauert hat. Sie nahm sich viele Freiheiten, mauserte sich zur Dichterin und Stil-Ikone in einschlägigen Künstlerkreisen - zuerst in London, später in Paris - und bildete mit ihren 2 Brüdern ein verrücktes Trio. Viele große Namen zählten zu ihrem Freundeskreis, u.a. Cecil Beaton und Marilyn Monroe. Finanziell gab es Zeiten, in denen sie sich durch ihre literarische Arbeit ganz gut über Wasser halten konnte, aber im Großen und Ganzen war sie doch immer auf großzügige Mäzene angewiesen. Sie hatte Freunde, jedoch keine Liebhaber, weder männliche noch weibliche.
Eine durchaus interessante Lektüre - das schätze ich an historischen Romanen, dass man einen persönlich geprägten Zugang zu historischen Ereignissen bekommt.