Ein interessantes Sittengemälde und ein Leben für die Dichtkunst

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
sommerlese Avatar

Von

Der Roman "Die Dame hinter dem Vorhang" von Veronika Peters dreht sich um die englische Dichterin Edith Sitwell und erscheint als Hardcover bei Wunderraum.


Die junge Jane Banister, Enkelin des Gärtners der Familie Sitwell, tritt 1927 in den Dienst der adeligen Edith Sitwell, die als Dichterin in London wohnt und einen exzentrischen Lebensstil führt. Edith hat einen einflussreichen Freundeskreis und ist recht unkonventionell. Mit der Zeit entwickelt sich zwischen Jane und Edith eine enge Verbundenheit und Jane erlebt an ihrer Seite die Metropolen der Welt. Ihr eigenes Leben stellt sie für Edith zurück.


"...die heiligen Hallen der erhabenen Trostlosigkeit." Zitat Seite 208


Von Veronika Peters habe ich bereits ein Buch gelesen und war sehr gespannt auf diesen Roman.

Ich mag biografisch angehauchte Romane und hatte zuvor noch nichts über die Protagoistin des Buches, die Dame Edith Sitwell, gehört. Für Jane scheint es das vermeintliche Sprungbrett ins eigenständige Leben zu sein, kein Karrierestart, aber immerhin ein erster Job. Sie zieht nach London und verlässt damit das Landleben und ihre Mutter Emma. Diese ist seit Jahren Edith freundschaftlich verbunden, es gibt auch ein Geheimnis, das sie gemeinsam hüten. Was sich dahinter verbirgt ist ziemlich offensichtlich, die Aufklärung ergibt sich am Ende des Buches.


Der Roman liest sich wunderbar flüssig, der Schreibstil zeigt bildhaft genau die Zustände und Vorgänge, Kriegseindrücke und Lebensbedingungen. Mich haben einige Szenen aufgerüttelt, gerade die Bombardierung Londons und besondere Vorkommnisse im Lebenswandel der vermeintlichen Oberschicht. Auch wenn die Geschichte keine gewaltigen Überraschungen beeinhaltet, konnte ich ihr gespannt folgen und fühlte mich gut unterhalten. Denn Veronika Peters zeigt nicht nur den etwas speziellen, aber aufgeklärten Geist Edith Sitwells und ihr literarisches Treiben, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen und Lebensumstände ausgehend von 1927 bis in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und danach.

Der Unterschied der Gesellschaftsschichten wird offensichtlich aufgezeigt und weil Edith nicht in den Genuss ihres familiären Reichtums kam, konnte mich ihre Figur außergewöhnlich fesseln.


Edith ist nicht gerade hübsch und deshalb nicht unbedingt ein Männerschwarm, doch sie ist intelligent und sehr wortgewandt. Sie verliebt sich hoffnungslos in den russischen Künstler Pavel Tchelitchew, der von ihr zwar große Geschenke annimmt, sie aber im Grunde zutiefst verachtet. Darunter leidet Edith natürlich. Jane ist dagegen eine liebenswürdige und schöne junge Frau, die in ihrer Rolle als Hausdame aufgeht. Sie wird auf eine bestimmte Weise zu einer Wächterin und versucht alles Unheil von Edith abzuwehren. Ein eigenständiges Leben scheint ihr völlig fremd zu sein, sie ist die aufopferungswürdige und pflichtbewusste Dienerin und lebt ihre abhängige Rolle gemäß dem Zeitgeist. Dieses erlernte Standesdenken übt sie treu bis in den Tod von Dame Edith aus.


Man fragt sich beim Lesen, warum sich Jane dieser Diener-Rolle so inständig verschrieb. Vielleicht genügte ihr der Hauch von Berühmtheit und Luxus, vielleicht war sie aber einfach zu ängstlich, um ein selbstbestimmtes Leben ohne Dienerrolle zu führen. Man wird aus ihr nicht ganz schlau, Fakt ist jedoch, bis zum Ende von Ediths Leben wartet sie auf die geheime Information über ihre persönliche Abstammung.


Die Personenauswahl und die teilweise sehr exzentrischen Charaktäre sind gut ausgewählt, sie zeigen die Künstlerszene mit ihren Marotten und Eskapaden und auch das gesellschaftliche Bild dieser Zeit.



Vor dieser Lektüre wusste ich nichts von der bekannten Lyrikerin Edith Sitwell, hier wird man auf ihre Reisen und Auftritte mitgenommen und erlebt ihre künstlerischen Phasen, trotzdem kann ich mir kein echtes Bild von ihr machen, weil ihre Gedanken und Gefühle nur von außen beschrieben werden.


Dieser biographische Roman über Edith Sitwell beschreibt nicht nur ein genaues gesellschaftliches Sittengemälde dieser Zeit, sondern zeigt auch die schrecklichen Kriegserlebnisse und die Dichterseele dieser Künstlerin. Mich hat aber ihre Hausdame Jane noch viel mehr interessiert.