Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Witz

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leukam Avatar

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Friederike Anderman, genannt Fred, eine alleinstehende Frau Ende Vierzig, hat es weit nach oben gebracht. Noch dazu mit ihrem Hintergrund: „ Tochter einer alleinerziehenden Kellnerin, aufgewachsen im Hamburger Arbeiterviertel“. Sie ist Botschafterin in Montevideo. Ihre Motivation war es, etwas bewirken zu können. Stattdessen ist sie damit beschäftigt, das Fest zum Tag der deutschen Einheit zu organisieren.
Doch dann verschwindet eine junge Deutsche und Fred nimmt die Sache anfangs nicht ernst genug. Aber die Mutter der Entführten ist eine mächtige Verlegerin in Deutschland und als ihre Tochter nur noch tot aufgefunden wird, lässt sie ihren Einfluss spielen und Freds Karriere bekommt einen ersten Knacks.
Zwei Jahre später und einige Illusionen ärmer ist Fred Konsulin in Istanbul. Hier bewegt sich die Diplomatie auf dünnem Eis. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind nicht unproblematisch und der türkische Staat wünscht keinerlei Einmischung in seine inneren Angelegenheiten. Das bekommt Fred zu spüren, als sie sich für eine in Haft sitzende deutsch- kurdische Künstlerin und deren Sohn einsetzt. Dann gerät ein befreundeter deutscher Journalist ins Visier der türkischen Behörden, seine Wohnung wird durchwühlt, er muss um seine Freiheit fürchten. Auch hier kann Fred in ihrer Position wenig ausrichten. Nun entscheidet sie sich gegen den Amtsweg und handelt auf unkonventionelle Weise.
Lucy Fricke konnte mich schon mit ihrem letzten Buch „Töchter“ völlig begeistern und ihr neuer Roman ist mindestens genauso gut. Es ist ein ausgesprochen politischer Roman. Stellt er doch die Frage nach dem Nutzen und den Grenzen von Diplomatie und dem „ diplomatischen“ Umgang mit Unrechtsstaaten. Das ist im Moment, wo wir das Gefühl haben, die Diplomatie sei an ihrem Ende angekommen, äußerst aktuell.
An vielen Episoden illustriert Lucy Fricke den Alltag im Auswärtigen Amt, erzählt von den Herausforderungen, den unbefriedigenden Mitteln und den Rückschlägen in diesem Job. Denn entgegen der landläufigen Meinung, die Vertreter dort könnten nichts als „ lachen, lügen, Lachs fressen“, gibt es einiges zu tun.
Mit der Ich- Erzählerin Fred hat Lucy Fricke eine Figur geschaffen, der man sehr nahe kommt. Sie ist eine toughe, selbstbewusste Frau, die mit genügend Ironie auf sich und ihre Umgebung blickt. Der Ton im ersten Teil ist leicht und humorvoll, während die Geschichte in Istanbul an Ernst und Tiefe gewinnt. Angesichts den Rechtsverletzungen in der Türkei erlebt Fred ihre eigene Hilflosigkeit immer stärker und sie setzt sich über die Regeln ihres Amtes hinweg. Nicht ohne Risiko, sich und ihre Position in Gefahr zu bringen. Das macht sie mir sympathisch.
Lucy Fricke erzählt, wie gewohnt, mit viel trockenem Humor. Der Roman ist voll mit großartigen Beobachtungen, einem genauen Blick für Details und amüsanten Dialogen. Dabei gelingt ihr die Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Witz.
„ Die Diplomatin“ ist ein spannender, unterhaltsamer und gleichzeitig informativer Roman, der auch sprachlich und literarisch überzeugt. Für mich eines der Lesehighlights in diesem Jahr.