Beachtlich!

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mike nelson Avatar

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Fred Andermann, 50, alleinstehend und im auswärtigen Dienst für Deutschland auf Posten. Zunächst als Botschafterin in Montevideo/Uruguay und dann - wegen eines Vorkommnisses - auf den Posten einer Konsulin an die Auslandsvertretung nach Istanbul versetzt. In der ersten Zeile 'knattert die deutsche Flagge vor ihrem Fenster im Wind' - in der letzten Zeile des Buches '...wehte schlaff die deutsche Fahne im Wind'. Das ist der bildliche Rahmen des Romans 'Die Diplomatin' von Lucy Fricke. Die Diplomatin Fred Andermann hat sich aus einer einfachen Familie hochgearbeitet, sich von ihrer Herkunft gelöst: "Der diplomatische Lebenslauf beginnt mit der Ausbildung beim Amt. Davor ist man ein Nichts." Als kinderlose Botschafterin von der Frauenquote hochgespült. Aber auch ihre neue Identität weiß die Diplomatin nicht so recht auszufüllen. Sie erlebt das Deutschtum erst im Ausland - die Grillwürste zur Feier des Tages der deutschen Einheit, die pallettenweise Verfügbarkeit von moselaner Riesling Hochgewächs an der Botschaft und der lokale Chauffeur, der textsicher Helene Fischers 'Atemlos' mitträllert und den Song großartig findet. "Ich wurde in der Fremde deutsch." Die Mutter in Hamburg weiß wenig über die Tätigkeit der Tochter in der Welt - ca. alle vier Jahre auf einem neuen Posten. Fred traut sich nicht, ihrer Mutter von ihren Bediensteten zu berichten, fast schon schämt sich Fred dafür, weil es so wenig zu ihrer Herkunft passt; und ihre Mutter einmal auf einen Besuch einzuladen ist zwecklos, da die Mutter wohl einwenden würde, dass sie 'nur stören würde'. Und schließlich gibt es dann doch etwas sinnstiftendes für Fred zu tun, ihr Leben bekommt wieder einen lohnenswerten Inhalt - sie verhilft in der Türkei gefährdeten Menschen über die rettende Grenze nach Griechenland. Die plötzliche Erkrankung der Mutter zwingt Fred dann aber zurück nach Hamburg - aber nicht ohne doch jemanden gefunden zu haben, mit dem sie nun ihr Leben teilen kann. Lucy Fricke erzählt pointiert und zuweilen auch relativ beiläufig; sie gibt dabei Einblicke in den auswärtigen Dienst und in das (Seelen-) Leben einer erfolgreichen Frau, die die Lebensmitte bereits hinter sich gelassen hat und auf der Suche nach (einer neuen) Identität ist. Diese wird ihr allerdings nicht - wie vieles andere - von Staats wegen zur Verfügung gestellt. Leseempfehlung.