Beamtentum gegen Intuition und Menschenverstand

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ute54 Avatar

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Das Cover mit der stilisierten Landschaft lässt Urlaubsträume erwachen und führt gut in das, generell, vermutete Leben einer Konsulin ein. Empfänge, Reisen in exotische Länder, Organisation von Festen und tolle Gespräche mit der "Diplomatenclique” der anderen Länder, dazu noch hoch bezahlt und mit toller Pension, das sind die Vorurteile, die einer Konsulin oder einem Konsul, oftmals entgegengebracht werden.
Mit der Auswahl dieses Romans wollte ich gern mehr über den diplomatischen Dienst erfahren und wurde mit der Realität konfrontiert. Die Protagonistin führt nicht nur ein Leben, bestehend aus langweiligen Terminen und Pflichten, sondern muss als Bindeglied zwischen der Regierung des jeweiligen Landes, der Polizei und deutschen Urlaubern fungieren. Zuerst in Montevideo, dann in Istanbul, muss Friederike Andermann, genannt Fred, zu dem Schluss kommen, dass Journalisten, Künstler und unvorsichtige Touristen oftmals die Brisanz der Lage nicht verstehen wollen und ihre Warnungen und Ratschläge einfach ignorieren. Aus Unverständnis der politischen Lage oder, weil sie von einem Konsulat zu viel Schutz erwarten?
Die Protagonistin ist Ich - Erzählerin. Dadurch wird Intensität erzeugt und ihre innere Zerrissenheit, nach vielen Dienstjahren, in den Blickwinkel gerückt. Das Leben in Montevideo wird teils verniedlichend dargestellt, offenbart dann aber ihre Hilflosigkeit in einer brisanten Situation. Bei Nichterfolg wird man in die Zentrale versetzt und dann oft an einen Brennpunkt wie Istanbul, wo Fred tief in die Beziehungen der deutschen und türkischen Geheimdienste eintaucht. Freiheit, Recht und Demokratie werden dort mit Füßen getreten. Sie zweifelt an ihrem diplomatischen Standpunkt und kämpft gegen Repressalien durch den “Präsidenten” an. Das türkische Unrechtsregime wird in aufrüttelnder Weise dargestellt, was den Berichten der deutschen Presse entspricht.
Kann man noch gefahrlos dorthin in den Urlaub fahren, zum Beispiel als Journalist, Kurde, Teilnehmer an Demos in Deutschland gegen das türkische Regime?
Fred stellt sich selbst und ihren Beruf in Frage und kommt zu dem Schluss, dass man in menschlich Handeln muss. Sie wird intensiv von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet. Der Roman ist chronologisch angelegt, was ihn leicht lesen lässt. Dazu tragen auch die schnörkellose Sprache und die kurzen Kapitel bei.
Ich hätte mir ein umfangreicheres Werk gewünscht, denn oftmals werden Fakten nur angetippt. Der innere Konflikt der Protagonistin ist gut dargestellt. Natürlich darf eine Liebesromanze als “Würzung” nicht fehlen.
Wer wird nach dieser Lektüre noch in den diplomatischen Dienst eintreten wollen?