Ein Wechselbad der Gefühle

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Seit nun mehr zwanzig Jahren arbeitet Friederike Andermann für das deutsche Konsulat. Ihr Ehrgeiz, Pragmatismus und die ihr ganz eigene, unerschütterlichen Ruhe zeichnen sie aus, auch wenn Einsätze in der Vergangenheit nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind. Und dennoch: Nach außen hin strahlt sie Verlässlichkeit und Souveränität aus. Doch dann kam Montevideo. Eine Fehleinschätzung mit Folgen, ihre Fassade reißt und sie wird zurück in die Berliner Zentrale des Krisenreaktionszentrums versetzt. Nach einem Jahr trister Büroarbeit erhält sie eine neue Chance: Istanbul. Es verspricht ihre bislang größte Herausforderung zu werden, denn das Land ist politisch aufgeheizt, ihr Stolz noch immer angeschlagen und die Einsamkeit lässt ihre Zweifel, aber auch ihr Verlangen nach körperlicher Nähe umso lauter hallen. Sie beginnt, intuitiv zu handeln, Kopf aus, Herz voran.

"Ich wollte in aller Unschuld noch einmal von vorn beginnen, wollte keine Angst kennen, keine Zweifel, keine Lügen. Ich wollte in diese Welt geworfen werden und nirgendwo aufschlagen." (S. 103)

In ihrem neuen Roman „Die Diplomatin“ erzählt Lucy Fricke lakonisch und voll trockenem Humor, oftmals aber auch zart, vulnerabel und mit leisen Tönen, welche Kämpfe die 40-jährige Fred in ihrer Rolle als Diplomatin täglich ausfechten muss – nicht nur beruflich, auch privat. Eindrucksvoll arbeitet sie die zwei Seiten der Protagonistin heraus: Da ist die kämpferische, unerschrockene Fred, stets engagiert und voll deutscher Arbeitsamkeit, kurzum: toughe Karrierefrau. Und da ist aber auch die zarte Fred, die an PTBS leidet, seit sie in Afghanistan stationiert war, die sich einsam fühlt, die Nähe eines anderen Menschen vermisst und stets von ihren Kollegen und deren Ehefrauen vorgeführt bekommt, wie schön das Leben als Familie ist. Etwas, das sie in ihrer Kindheit nur bedingt zu spüren bekommen hat, war ihre Mutter alleinerziehend und kaum daheim, musste sie sich und ihre Tochter schließlich irgendwie ernähren, am Leben halten. Nun ist ihre Familie das Personal im Konsulat – doch auch sie sind nur freundlich, weil sie dafür bezahlt werden. Noch immer denkt sie an die Beziehung, in die sie den Glauben verlor, ach, was wäre, wenn. Durch all die Schichten – die harte Schale, den weichen Kern – wird Fred nahbar, unglaublich sympathisch und in ihrer Bissigkeit bewundernswert; eine meiner liebsten Protagonistinnen seit langem (und das liegt nicht nur an dem fast gleichen Namen).

Doch nicht nur die interpersonelle Ebene, auch das Abstrakte, die Einbindung in das politische Weltgeschehen und die Rolle Freds darin bedient Lucy Fricke geschickt: Kritisch beschreibt sie Szenen bar jeder Menschlichkeit, Korruption und Bestechlichkeit, die Härte politischer Systeme, in denen die freie Meinungsäußerung keine Selbstverständlichkeit ist. Ein Tanz zwischen Ohnmacht und Hilflosigkeit. Aber auch die scheinbare brückenschlagende Rolle, die Fred innehat, ist manchmal auch nur Schein, denn sie war eine von denen mit „den freundlichen Lügen, die nur das glaubten, was [sie] nicht sagten“ (vgl S. 80). In einem System, in dem der kleinste Fehler zum Verhängnis werden kann.

Der Roman war für mich ein Wechselbad der Gefühle. Während die erste Hälfte des Romans mich in all den Aspekten menschlichen Abgründe und politischer Diskrepanzen gefesselt hat, verlor mich die zweite Hälfte relativ bald. Zwar gab es immer wieder Szenen, die mich schmunzeln ließen, aber auch sie trösteten mich nicht darüber hinweg, dass alles nur noch zu schweben schien, während ich auf dem Boden lag. Doch nichtsdestotrotz habe ich Friederike ungemein ins Herz geschlossen, sie bleibt.