Funktionelles Herumstehen

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lesefee65 Avatar

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Drei Großstädte auf unterschiedlichen Kontinenten, zwei brisante Entführungsfälle, eine Frau im Dienste der BRD im Versuch, geltende Rechte durchzusetzen: das wäre kurz und knapp die Beschreibung der Handlung des Romans „Die Diplomatin“.
Die Protagonistin:
„Fred“ (Friederike) Andermann, die mit viel Idealismus und Hoffnung, etwas in der Welt bewegen zu können, den Job als Diplomatin beginnt; aber schon bald ausgebremst wird, da eigener Aktionismus nicht gefragt ist, alles einem schönen Schein unterliegt; nach Außen wird repräsentiert und stillgehalten, wenn’s mal brenzlig wird. Dann sind ja Vorgaben da, die einzuhalten sind; Entscheidungen werden auf anderen Ebenen getroffen.
Der Fall der entführten Tamara in Uruguay macht das besonders deutlich: Freds Bemühungen werden aufs diplomatische Gleis verlegt, letztendlich scheitert das Unternehmen 'Befreiung' auf bedrückende Weise.
Im Falle der Aktivistin Meral in Istanbul wendet sich überraschend das Blatt, nachdem Fred nicht mehr nach den Regeln „tanzt“, sondern selbst aktiv wird.
Lucy Fricke beschreibt ihre Protagonistin als diffuse Persönlichkeit, die auch mit 50 noch nicht wirklich im Arbeits-/Leben angekommen ist. Dies zeigt sich an der fehlenden Identifikation mit ihrem Job wie auch in ihren privaten Beziehungen, die schön auf Abstand gehalten werden.
Die Autorin schafft es dennoch, eine spannende Geschichte über eine Frau auf außergewöhnlichem Posten zu schreiben. In kurzen Kapiteln nimmt die Erzählung Tempo auf und lässt einen nicht mehr los; ich konnte das Buch kaum weglegen! Auf lange blumige Beschreibungen wird verzichtet; die Stimmung in den jeweiligen Dialogen, Situationen und Lokalitäten wird jedoch treffend erzeugt: manchmal ernüchternd und deprimierend, aber auch humorvoll und witzig.
Mir hat der Roman gut gefallen. Angesichts der aktuellen politischen Situation in der Ukraine hat das Thema „Diplomatie“ allerdings nochmals eine andere, sehr schmerzende Tragweite bekommen.