Große Erwartungen - enttäuschend!

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martinabade Avatar

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Seit Tagen, gefühlt Wochen, schiebe ich es vor mir her, diesen Text zu schreiben. Es fühlt sich ein bisschen an wie Verrat, und ich habe überlegt, mich vor dem Urteil zu drücken und mich in die Beschreibung zu retten. Ach, …………….. nö.

Was hatte ich mich auf dieses neue Buch gefreut. Nach „Töchter“. Ein Knallerbuch. Zwei Protagonistinnen zum Verlieben, plastisch beschrieben, lebendig und menschlich. Dazu die dramaturgisch geniale Idee, dieses Road Movie in Bewegung zu setzen. Und nun das: künstliche Ödnis; ein Buch, durch das es sich blättert wie durch ein Panini-Klebe-Bildchen-Album. Der erste Teil des Textes spielt in Urguay, Südamerika, das war auch offensichtlich der Plan. Vom Schmutztitel erfahren wir, dass die Autorin eine „Unterstützung“, ein Stipendium einer türkischen Kulturstiftung erhalten hat. Also, break. Vorsatzblatt. Nix mehr „Haus in Montevideo“. Wir finden uns in Istanbul wieder. Und nun versucht Fricke mit Hilfe literarischen Schnellklebers, diese beiden Teile zusammenzuleimen. Bei den Danksagungen steht auch noch eine Adresse in Bamberg. Das ist den Lesern und Leserinnen glücklicherweise erspart geblieben.

Zum „Leimen“ kann Lucy Fricke glücklicherweise auf konstante Personnage zurück greifen. In der Hauptsache, Fred. Fred ist deutsche Diplomatin. Nachdem ihr in Uruguay der politische GAU passiert, wird sie, nach Strafaufenthalt in Deutschland, nach Istanbul versetzt. Es geht um Liebe, Zeit und Verrat. Um verschiedene Auffassungen von Demokratie und Freiheit. Das sind deutlich die stärksten Passagen des Textes. Und wieder bin ich im Zwist mit den Werbetexten. Selbst in diesen Phasen ist da wenig „fulminant“, manches ist komisch, manches bitter.

„Wir kannten keine Panik, wir waren Beamte. Die mit den freundlichen Lügen. Wir waren Menschen, die im strömenden Regen vor die Tür traten und davon schwärmten, wie gut das für die Landwirtschaft sei. Das Schöne war, dass wir darum wussten und meistens nur das glaubten, was wir nicht sagten.“ Ich hätte gern einen anderen Passus zitiert als die vielen Kritiken, ich finde nur keinen wirklich besseren.

Kleine Lichtblicke sind im Buch sind Freds Verhältnis zu ihrer Mutter im fernen Deutschland und ihre Gedanken, also Freds, genau darüber. Manche einsame Reflexionen der Konsulin über das Leben mit Fahrern, Gärtnern, Bediensteten. Und: An jedem kommenden 3. Oktober werde ich an dieses Buch und die alljährlich des Diplomatischen Corps denken, irgendwie auf der ganzen Welt, Menschen dazu zu bringen, unseren nationalen Feiertag mit uns zu begehen.

Trotzdem gebe ich nicht auf: Ich warte auf das nächste Buch von Lucy Fricke.