Handeln statt verhandeln

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Friederike „Fred“ Andermann ist „Die Diplomatin“, eine selbstbewusste, sich ihrer Qualitäten, ihres Verstandes und ihres Ehrgeizes bewusste Karrierefrau im diplomatischen Korps der Bundesregierung. Wie abgebrüht sie mit den alltäglichen Erfordernissen und Zumutungen ihres Berufs umgeht, offenbart die Erzählung aus der Ich-Perspektive, dazu in einem lakonischen, bisweilen sentenzhaften Tonfall, der nicht selten in überraschenden Pointen kulminiert („Meral träumte nicht, sie plante. Sie hatte keine Wünsche, sondern Ideen“. (S. 100). Das macht große Freude beim Lesen – von Anfang bis zum Ende.
Auf dieser Strecke allerdings verändert sich Fred, denn nach einem Vorfall mit einer entführten Touristin im sonst paradiesisch ruhigen Uruguay verliert sie den diplomatischen Standpunkt: den der unbeteiligten Beobachterin, der abwägend redenden, der stets um Zurückhaltung Bemühten. Ihre Selbstbeherrschung bekommt in der Türkei, auf ihrem neuen Posten als Konsulin in Istanbul, Risse, die unter dem Regime „dieses Präsidenten“ leidet, der nie beim Namen genannt wird. Die Repressalien, denen beispielsweise Journalisten ausgesetzt sind, machen wütend. „Die Angst saß innen, und außen saß die Wut.“ (S 194) Dieses Gefühl trägt Fred noch in sich – wenn auch nur diffus und als Kindheitserinnerung ihrer DDR-Vergangenheit, der sie ansonsten vollständig entflohen ist. Fast vollständig, wie der Roman schließlich geschickt enthüllt.
Für Fred bedeuten die Vorkommnisse in Istanbul, die Verfolgung dreier Journalisten durch ein Unrechtsregime, die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit. Zwar hat sie als Diplomatin den Panzer des bundesrepublikanischen Schutzes um sich, aber sie ist an die Gebote der Diplomatie gebunden. Sie muss erkennen, „dass Freiheit und Beamtentum nicht in ein und denselben Traum“ passen. (S. 107).
Erst jetzt wird deutlich, wie wichtig der Vorspann in Uruguay für das Verständnis von Fred und ihrem Schritt in Richtung Menschlichkeit ist. Wie sie jetzt handelt, erinnert sie an überstürzte Kurzschlusshandlungen von Menschen in der Midlife-Crisis: Männer kaufen Motorräder und versuchen so in ihre Jugend zurückzukehren, Fred revoltiert wieder gegen die Staatsmacht. „Was umso absurder war, da ich inzwischen selbst dazugehörte. Ich revoltierte quasi gegen mich selbst.“ (S. 196) Genau – und das ist der Kern des Romans und gleichzeitig ein Appell an alle: Diplomatie ist wichtig, aber irgendwann ist der Zeitpunkt erreicht, die Staatsgetragenheit abzustreifen und zu menschlich handeln.
Ein zutiefst sympathischer, sehr lesbarer und kluger Roman, der so leicht gekleidet scheint und doch erhebliches Gewicht mitbringt. Lucy Fricke dürfte auf mittlere Sicht die türkischen Gewässer von ihrer Urlaubsplanung ausschließen müssen.