Politisch brisante Irrwege

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amara5 Avatar

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Lucy Frickes neuer Roman „Die Diplomatin“ taucht im modern-rasanten Ton tief in die diplomatischen Gefilde ein und zeigt eine authentische und tiefenscharf gezeichnete Botschafterin, die ambitioniert um ihre Ideale an die Diplomatie und Freiheit kämpft – am Ende auch mit ungewöhnlichen Mitteln.

Diplomatin Friederike Andermann, genannt Fred, hat 20 Jahre lang ihre berufliche Laufbahn im Auswärtigen Amt vorangetrieben, um mit Ende Vierzig endlich eine Position als Botschafterin zu erhalten. Doch in Montevideo/Uruguay ticken die Uhren noch anders und Fred ist mehr mit Event-Management als mit relevanten Aufgaben beschäftigt. Als die Tochter einer sehr einflussreichen deutschen Verlegerin in Uruguay verschwindet, nimmt Fred das Anliegen weniger ernst und hält strikt bürokratische Abläufe ein. Ein Fehler, wie sich später herausstellt und Fred wird als Konsulin nach Istanbul versetzt, wo sie ganz andere Seiten an sich entdeckt.

Dort kommt sie bei den autoritären Strukturen und politischen Machenschaften samt bilateralen Verknüpfungen an die Grenzen ihres Glaubens und setzt sich für die Freilassung einer inhaftierten Kuratorin kurdischer Abstammung samt ihres aus Deutschland angereisten Sohnes ein. Da diplomatische Absprachen nicht gehalten werden und der offene Dialog nicht stattfinden kann, beschließt Fred, die Dinge auf anderen Wegen in die Hand zu nehmen und ein sehr spannend-unterhaltsamer Polit-Krimi nimmt seinen brisanten Lauf mit vielen Verstrickungen und Wendungen. Und auch Freds private Angelegenheiten werden feinfühlig-humorvoll angesprochen: Eine männderdominierte Berufswelt, eine fehlende Familie samt einem Mann, der alle vier Jahre in ein anderes Land folgt sowie eine komplizierte Kindheit und verkappte Gefühle.

Im typisch brillant-trockenen und treffsicheren Fricke-Ton hat die Autorin einen höchst aktuellen und politischen Roman entworfen, dem sie mit ihrer präzisen und langen Recherche in der Diplomatenszene eine detaillierte, reale und dichte Atmosphäre einhaucht. Zudem sitzen die knappen Dialoge auf den Punkt und changieren zwischen Lakonie, schwarzem Humor und sehr kluger Beobachtung der verschiedenen Ebenen in der Diplomatie. Der Roman beginnt nonchalant in Montevideo und entwickelt sich in Istanbul zu einem nervenaufreibenden, bedrohlichen und soghaften Plot, der sehr realitätsnah die gesellschaftlichen Schrecken in der Türkei und aufrüttelnd die Grenzen der Diplomatie aufzeigt. Und doch verliert die Autorin in ihren verdichteten, klaren und pointierten Sätzen dabei nie ihren Hang zur Ironie und Lebensweisheit.

Ein sehr lesenswerter, hochaktueller Roman über eine Diplomatin zwischen Ernüchterung, Hilflosigkeit und Vorwärtsgehen sowie beruflichen und privaten Problemen.