Schmerzvolle Ernüchterung

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barbara62 Avatar

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Im Angesicht weltweiter Krisenherde, Syrien, der Jemen, Afghanistan oder jüngst die Ukraine, bleiben Zweifel an den Erfolgsaussichten der Diplomatie nicht aus. Dass auch Diplomatinnen und Diplomaten verzweifeln, wenn sie trotz hoher Motivation und exzellenter Ausbildung an den Grenzen ihrer Profession zerschellen, zeigt Lucy Fricke an ihrer Protagonistin Friederike Andermann, genannt Fred, in ihrem neuen Roman "Die Diplomatin".

Zu Beginn scheint alles im Lot:

"Vor dem Fenster knatterte die deutsche Flagge im Wind." (Anfangssatz S. 9)

Nach fast 20 Jahren im Auswärtigen Dienst hat Fred mit knapp 50 ihren ersten Posten als Botschafterin in Montevideo, ein Aufstieg, der nicht zuletzt dem Streben der Behörde nach einer höheren Frauenquote zu verdanken ist. Als Kind einer alleinerziehenden Kellnerin aus einem Hamburger Arbeiterviertel musste sie hart um den Aufstieg kämpfen und auf Partner, Kinder, Haus und Garten verzichten. Während die Botschaftergattin als Typus verbreitet ist, gilt der „MAP“, „mitausreisender Partner“, der seiner Frau alle paar Jahre in ein anderes Land folgt und auf eine eigene Karriere verzichtet, als seltene Spezies.

Der Karriereknick
In Uruguay wartet auf Fred ein vermeintliches Paradies, Konflikte sind unwahrscheinlich und die größte Herausforderung besteht in der Ausrichtung des jährlichen Nationalfeiertags:

"Ich hatte mich für diesen Beruf entschieden, weil ich etwas bewirken wollte. Und jetzt hatte ich eine geschlagene Stunde über Grillfleisch und Bratwürstchen diskutiert." (S. 15)

Den Rest der Zeit feiert man die Nationalfeiertage anderer Nationen:

"Ich stehe da rum und bin nur Deutschland." (S. 18)

Doch dann wird es schneller ernst als gedacht, eine vermisste Touristin ist ausgerechnet die Tochter einer deutschen Mediengröße und Freds stetig ansteigende Karrierekurve, für die sie ihr Privatleben geopfert hat, knickt ab.

Bewährungsprobe auf rutschigem Parkett
Nach strapaziösen Wochen und einer Abberufung ins Krisenreaktionszentrum der Zentrale wird eine veränderte Fred Konsulin in Istanbul und damit zuständig für deutsche Staatsangehörige in der Türkei, eine schwierige Aufgabe auf rutschigem Parkett in einem autokratischen Land:

"Schon beim Wort Dialog stellten sich bei mir inzwischen die Nackenhaare auf. Immerzu sprach man vom Dialog, während in Wahrheit die türkischen Behörden nicht mal mehr ans Telefon gingen." (S. 84)

Angesichts einer willkürlich in einem türkischen Frauengefängnis inhaftierten deutsch-kurdischen Kunsthistorikerin, ihres unter Hausarrest stehenden Sohnes und eines per Haftbefehl gesuchten deutschen Journalisten, der sich als „diplomatische Krise auf meine Bettkante gesetzt hatte (S. 152)“ verliert Fred zunehmend die Geduld, was einer Berufsunfähigkeit gleichkommt. Das Wissen um die Machtlosigkeit ihres hohen Amtes lässt sie an der Diplomatie verzweifeln und Maßnahmen in Betracht ziehen, die ganz und gar nicht Teil ihres diplomatischen Instrumentenkastens sind…

Ein Roman der Stunde
"Die Diplomatin" ist ein durch und durch gelungener Roman: politisch, hochaktuell, spannend, literarisch, in zahlreichen Gesprächen mit Angehörigen des diplomatischen Dienstes und während eines Stipendien-Aufenthalts vor Ort hervorragend recherchiert, originell in Thematik und Handlung und dabei höchst unterhaltsam. Sprache und Materie sind auf das Notwendige reduziert. Der anfangs humorvolle Ton, bei dem ich immer wieder herzlich lachen musste, wird zunehmend ernster und nachdenklicher, ohne auf Ironie und Lakonie zu verzichten. Selbst die Flagge scheint am Ende entmutigt:

"Hinter dem Rauch wehte schlaff die deutsche Flagge im Wind." (Schlusssatz S. 254)

Unbedingt lesen!