Was tun, wenn die Diplomatie nicht mehr hilft?

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Fred hat sich hochgearbeitet, als Tochter einer alleinerziehenden Kellnerin in Hamburg aufgewachsen, ist sie nun Botschafterin in Montevideo. Es scheint, als hätte sie es geschafft, ein Posten in einem freundlichen südamerikanischen Land, in dem die schwierigsten Entscheidungen die richtige Deko für die Party zum Tag der Deutschen Einheit betreffen. Doch leider stellt sich das als Trugschluss heraus, die Tochter einer bekannten deutschen Verlegerin verschwindet, und Fred regiert in den Augen der Mutter nicht schnell genug. Das Nachbeben der Tragödie führt sie als Konsulin nach Istanbul. Dort ist das Leben nicht so ruhig, es gibt willkürliche Verhaftungen auch deutscher Staatsbürger*innen und entsprechend viel zu tun. In der aufgeheizten Atmosphäre der Stadt muss Fred entscheiden, was ihr wichtiger ist: die Diplomatie und damit die Geduld und das Austarieren von Möglichkeiten oder schnelle, zielführende Entscheidungen, die ihre berufliche Laufbahn gefährden könnten. Lucy Fricke hat mit Fred eine für sie typische Protagonistin erschaffen, eine Frau mittleren Alters, die sperrig ist, trinkfest und nirgendwo hundertprozentig hinzupassen scheint, doch gerade deshalb so großartig ist. Der Roman behandelt wichtige Themen wie Freiheit, Diplomatie und die Rolle des Einzelnen innerhalb des staatlichen Gefüges, verpackt diese aber in eine rasante Geschichte, die geschickt Spannung aufbaut und zum Nachdenken anregt, ohne dabei jemals die direkte Erzählebene zu verlassen. Das kann man schade finden, allerdings sorgen die zynische Protagonistin und Lucy Frickes trockener Humor dafür, dass der Einblick in die Welt der Diplomatie stets distanziert und reflektiert begleitet wird und das Ganze nicht Gefahr läuft, zum schlichten Krimi zu werden. Insgesamt ein Roman, den ich sehr gern gelesen habe, ich liebe diesen abgeklärten, leicht melancholischen Fricke-Sound, der humorvoll ist, ohne jemals platt zu werden.