Zynisch und klug!

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selina9a Avatar

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Wie der Titel unschwer erkennen lässt, geht es um eine Diplomatin – Friederike Andermann. Fred.
Fred ist um die 50 und ein echtes Arbeitstier, das sich erfolgreich die Beamtenleiter hochgekämpft und das erreicht hat, was für viele andere (Frauen) jenseits jeglicher Vorstellungskraft liegt: Ein Posten in der deutschen Botschaft – und das seit bereits 20 Jahren. Jedoch ist sie kein bisschen so, wie man sich eine alteingesessene Beamtin im höheren Dienst vorstellt. Sie hält nichts von leeren Phrasen und will wirklich etwas bewirken. Auf traditionsbedingte Oberflächlichkeiten, wie beispielsweise die Ausrichtung eines dritten Oktobers, blickt sie durchaus zynisch und vertraut lieber ihrem eigenen Bauchgefühl, als dem geforderten Protokoll zu folgen, wofür sie auch des Öfteren die teilweise unschönen Konsequenzen tragen muss. Dennoch versucht sie stets, an alle Fälle objektiv heranzugehen, wodurch sie sich deutlich von einigen ihrer Kollegen unterscheidet, die das Ausmaß ihrer Handlungen meist erst mit der betreffenden Person und deren Rang und Namen abstimmen. Somit handelt es sich bei Fred um eine äußerst idealistische und unkonventionelle Vertreterin ihres Berufs.
Nichtsdestotrotz hat ihre Arbeit als deutsche Konsulin Fred auch nachhaltig geprägt und verändert: Sie tut sich oft recht schwer, andere Menschen an sich heranzulassen und hat berufsbedingt Vertrauensprobleme, was dazu führt, dass es ihr auf lange Sicht an Privatleben mangelt. Zudem ist sie unglaublich gelassen und kontrolliert, bewahrt in fast jeder Situation die Ruhe und besitzt eine beinah unmenschliche Geduld – oder zumindest den Schein davon. Dennoch ist sie alles andere als abgestumpft: Mit bemerkenswerter Inbrunst kämpft sie für Gerechtigkeit und gerät angesichts der schieren Ausweglosigkeit so mancher Situation in eine ernsthaft Existenzkrise und zweifelt den Sinn von Diplomatie mehr als einmal im Verlauf der Handlung an. Dieser kritische Blick auf ein sonst so intransparentes Berufsfeld, war eine willkommene Abwechslung, die ich sehr geschätzt habe.

Lucy Frickes Schreibstil hat mich auf allen Ebenen angesprochen: sehr nüchtern und klar, immer auf den Punkt und alles andere als gekünstelt oder verspielt. Angesichts des ernsten, aktuellen Themas eine kluge Wahl. Das ganze Buch ist wahnsinnig dialoglastig, was ich nur befürworten kann. Denn in den Dialogen liegt meiner Ansicht nach Frickes große Stärke: Die ganze Geschichte nimmt Fahrt auf und gewinnt Lebendigkeit hinzu. Mein persönliches Highlight ist jedoch definitiv der Humor der Autorin, den sie an ihre Protagonistin weitergibt. Freds unvergleichlicher Sarkasmus und Zynismus verleihen so mancher Situation eine Komik, die schon fast an eine Sitcom erinnert.

Alles in allem hatte ich eine wirklich gute Zeit beim Lesen. Ich mochte Fred als Hauptfigur sehr gern, konnte nicht anders, als ihr Durchhaltevermögen und ihre Ideale zu bewundern und habe mich trotz des großen Altersunterschieds ein Stück weit in ihrem Zynismus und ihrem Weltschmerz wiederfinden können. „Die Diplomatin“ ist ein gleichermaßen kluges wie unterhaltendes Buch, das viele aktuelle Themen kritisch beleuchtet und zum Nachdenken anregt. Eine klare Leseempfehlung für jeden, der sich für die Thematik interessiert!