Die drei Leben der Tomomi Ishikawa

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sonnenscheinchen92 Avatar

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Meinung: Das Buch ist mir vor einigen Monaten schon in der script5 Vorschau aufgefallen und war sehr froh, als ich es tatsächlich bei vorablesen gewonnen habe.

Benjamin Constable kommt nach einem normalen Arbeitstag nach Hause und findet einenBrief von Tomomi Ishikawa, einer mehr oder weniger guten Freundin, in seinem Flur. Tomomi hat sich umgebracht und schickt Benjamin auf einer abenteuerliche Reise zu ihrem wahren Ich. Begleitet wird er dabei von Briefen, Mails und Dateien von Tomomi und Cat, seiner imaginären Katze.

Nach den ersten paar Seiten war ich erst skeptisch, ob das Buch nicht doch langweilig werden würde. Irgendwie konnte es mich nicht von Anfang an packen und ich war echt traurig darüber. Aber mit der Zeit wurde es echt genial. Irgendwann konnte ich das Buch kaum aus der Hand legen.

Der Autor führt uns in eine spannende Reise nach New York, unterirdische Katakomben, in den menschlichen Geist und die Abgründe der Psyche. Ein richtiges Meisterwerk über den Menschen und mit was er leben kann, über Realität und Fiktion und den Wunsch zu leben und zu sterben gleichzeitig.

Ich hätte echt nicht gedacht, dass mir das Buch so gut gefallen würde. Der Schreibstil des Autors ist sehr bildlich. Manchmal verliert er sich in Beschreibungen der Orte und auch Tomomis Orte waren nichts für mich, sodass ich sie überflogen habe, aber die Szenen kamen eher selten vor. Trotzdem war ich sehr angetan vom, teilweise auch sehr poetischen, Stil und habe einige wunderschöne Sätzchen entdeckt, die seperat noch auftauchen werden.

Die Ansätze über das Leben und die Ansichten, die in dem Buch ab und an durchsickern, gefielen mir recht gut. Ich konnte mich gut mit den Characteren identifizieren. Es waren echte Personen, keine blassen, vorgefertigten Formen.

Meiner Meinung nach ist die Frage geklärt, ob Tomomi Lügen geschrieben hat oder nicht. Aber da muss sich jeder sein eigenes Bild darüber machen. Das Ende hat mich übrigens auch geschockt zurück gelassen.

Fazit: Ein Katz - und Mausspiel der besonderen Art !



Zitate:

Wenn ich auf mein Leben und alles, was passiert ist, zurückblicke, dann wünsche ich mir jedes Mal, ich könnte es ungeschehen machen. Ich habe nichts getan, worauf ich stolz bin. Ich will noch mal ganz von vorne anfangen und diesmal anders sein. S. 59



Und die Asche der Toten rieselte auf uns nieder wie Schnee. Der Tod bedeckte die Bürgersteige und Straßen, wallte mit der warmen Luft den Broadway hinauf und bettete sich auf die Fenstersimse in den Wohngebeiten der Upper West Side, legte sich als dicke Staubschicht auf Autodächer und unser Haar, während wir ziellos durch die Straßen wanderten und als Zuschauer, Voyeuere, einen Blick auf Zweifel und Unverständnis in den Gesichtern der Leute zu erhaschen versuchen, die uns begegnen. S. 68



Mir geht es wunderbar mit meiner guten alten Depression. Und ich hoffe, dass sie mich einfach nach und nach zerstört und mein Körper sich zersetzt, von innen nach außen, sodass ich in himmlischem Schmerz dahinscheiden kann, klar und süß, und dann wird es dunkel. S. 93



Aber eigentlich glaube ich, dass wir alle bloß Tiere sind, die versuchen, ihren eigenen Hintern zu retten oder das Überleben ihrer Spezies zu sichern. Wir sind nichts als ichbesessene Fleischklopse, die nach körperlicher Befriedigung gieren und durch irgendwelche chemischen Prozesse dazu getrieben werden, sich fortzupflanzen. Hormone, die Emotionen erzeugen, damit wir unsere Jungen beschützen. Habsucht und Neid. Das ist meiner Meinung nach Liebe. Wir halten uns für höhere Wesen, dabei sind wir genauso wie alle anderen Kreaturen Sklaven unseres triebhaften Körpers und aller möglichen Formen von Irrglauben. Das ist reine Chemie. S. 280



Wo eine Geschichte endet, liegt im Ermessen des Erzählers. Heute weiß ich, ich hätte sie in New York enden lassen und glücklich und zufrieden bis in alle Ewigkeit sein sollen. Aber das tat ich ich nicht; stattdessen schrieb ich sie weiter, jedes Wort, jede Stufe abwärts kostete mich quälende Sekunden und selbst nach ein paar Minuten konnte ich hinter mir noch immer das Licht am oberen Ende der Treppe sehen. S. 331