Gottes Wille geschehe (?)

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Im Mittelpunkt des neuen Romans von Tad Williams „Die dunklen Gassen des Himmels“ steht der Anwaltsengel Bobby Dollar, der durch ein unglaubliches Ereignis aus seinem normalen Arbeitsalltag gerissen wird, welches die ganze himmlische Ordnung auf den Kopf zu stellen scheint. Tad Williams ist bekannt für seine detailreichen und aufwendigen Fantasieromane und auch dieser erste Teil des als Trilogie angelegten Engelsepos um Bobby Dollar nimmt den Leser mit auf eine Reise über unsere bekannten Grenzen hinaus.

Bobby Dollar ist ein Anwaltsengel: Die Sorte, die nach ihrem Tod auf die Erde zurückgesandt wurde um die Seelen der Verstorbenen für den Himmel zu sichern. Er mag seinen Job und seine Kollegen. Bis zu dem Tag, als sich an einem Tatort das Undenkbare ereignet: Die Seele des Verstorbenen ist nicht da. Sie ist einfach verschwunden und so beginnt eine wilde Achterbahn von Ereignissen, in deren Mittelpunkt der kleine Anwaltsengel steht. Niemand traut niemandem und selbst der Frieden zwischen Himmel und Hölle scheint in Gefahr. Bald schon ist für Bobby Dollar sicher, dass er mittendrin steckt und dass sein normaler Alltag vorbei ist.

Wer sich Engel immer als ätherische Wesen voller Anmut, Grazie und unendlicher Güte vorgestellt hat, wird in Tad Williams neustem Werk bitter enttäuscht. Seine Engel sind, zumindest teilweise, durchaus menschlich und frönen ebenso unseren Lastern wie unseren Vergnügungen: Es wird geraucht, getrunken, gevögelt und geflucht. Und doch erscheint alles innerhalb der göttlichen Ordnung abzulaufen. Doch manchmal passieren Dinge, die auch der Himmel nicht erklären kann und selbst Engel haben Zweifel, denn in den dunklen Gassen der himmlischen Stadt geschehen vielerlei Dinge, die in keiner Bibel zu finden sind. Bobby Dollar nimmt den Leser mit auf eine Reise in die Welt nach dem Tod oder besser gesagt neben dem Leben. Wir erfahren aus seiner Perspektive, die mitunter allzu menschlich ist, was passiert, wenn Dinge, die sicher erschienen, es plötzlich nicht mehr sind. Der Leser begleitet den Engel auf dessen rasanter Reise von einem unerwarteten und meist gefährlichen Ereignis zum nächsten und versucht zu verstehen, was genau gerade vor sich geht. Dabei gibt Bobby Dollar zwar genügend Hinweise, kann uns aber doch immer wieder überraschen. Das Erzähltempo ist rasant und flüssig, was es dem Leser schwer macht, das Buch zur Seite zu legen. Die Figuren, denen man begegnet sind auf den ersten Blick scheinbar alle einem der bestehenden Lager zuzuordnen (Menschen, Engel, Höllenkreaturen), doch wie im irdischen Leben ist auch im Außerhalb nicht alles so einfach wie man glaubt. Am Ende wurden zwar einige der dringendsten Fragen, die im Laufe der Handlung auftauchten, geklärt, aber der Leser und auch der Protagonist stehen noch immer vor vielen ungelösten Fragen und Problemen. Manch ein Leser mag das Ende als zu abrupt empfinden, doch ist es nur ein Verschnaufen, ein Verweilen an einem lauen Abend, bevor es im (hoffentlich bald erscheinenden) zweiten Band weitergeht. Also gönnen wir uns und unserem Engel eine kurze Rast, bis wir erneut in die dunklen Gassen des Himmels eintauchen.