An der Seite eines Gespensts

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
christian1977 Avatar

Von

Als die 22-jährige Alex gegen Ende des Sommers von ihrem reichen und viel älteren Liebhaber Simon vor die Tür gesetzt wird, scheint ihr bisheriges Leben vorbei zu sein. Nach ihrer Zeit als Escortgirl schien Simon wie die Chance auf einen Neuanfang - und wie der Eintritt in die Welt der Reichen und Schönen in den Hamptons. Doch nach mehreren Fehlern der jungen Frau ist die gemeinsame Zeit abgelaufen. Während Alex sich irgendwie durchschlagen muss, rückt der Tag näher, auf den sie all ihre Hoffnungen setzt: der Labour Day, an dem Simon eine große Party schmeißen möchte. Alex muss auf diese Party kommen, um mit Simon Versöhnung zu feiern - koste es, was es wolle...

"Die Einladung" ist nach "The Girls" der zweite Roman der Kalifornierin Emma Cline, der jetzt in der deutschen Übersetzung von Monika Baark bei Hanser erschienen ist. Ihm dürfte eine ebenso große Aufmerksamkeit und Kontroverse gewiss sein wie dem Debüt. Denn "Die Einladung" ist alles andere als ein Wohlfühl- oder Sommerroman mit einer liebenswerten Hauptfigur.

Vielmehr ist Alex eine klassische Antiheldin. Sie lügt, stiehlt und nutzt ihre Mitmenschen ganz nach ihrem Belieben aus, um an ihr Ziel zu gelangen. Und trotzdem gelingt es Emma Cline verblüffenderweise, dass man eine Art Komplizenschaft mit ihr eingeht. Man hofft nämlich, dass Alex mit all diesen Dingen durchkommt, bangt mit ihr, dass ihr erneuter Fehltritt keine Konsequenzen haben wird. Vornehmlich erreicht Cline dies mit ihrem einnehmenden und flüssigen Schreibstil. Man folgt dieser jungen Frau auf Schritt und Tritt. Am Ende wird Cline sie kein einziges Mal aus den Augen gelassen haben. Selbst vergangene Momente werden aus der Gegenwart heraus erzählt, so dass die Erzählstimme ins unliterarische Plusquamperfekt wechselt, nur um die gegenwärtige Alex nicht allein stehen zu lassen. Dabei erzeugt die Autorin nicht besonders viel Empathie für ihre Hauptfigur und bringt ihr selbst auch keine entgegen. Auch der eher nüchterne Stil trägt zu diesem Empfinden bei. Umso erstaunlicher, dass trotzdem diese Bindung zur Protagonistin erreicht wird.

Alex' Geschichte ist im Grunde eine tieftraurige, auch wenn wir über ihre weiter zurückliegende Vergangenheit kaum etwas erfahren. Sie wirkt wie eine verlorene Seele, irrt heimatlos umher wie ein Geist, als den sie sich selbst manchmal bezeichnet. Und in der Tat erinnert "Die Einladung" in gewissen Momenten an eine abgebrühtere Variante des genialen David Lowery-Films "A Ghost Story", in dem ein Gespenst sich ein Bettlaken umlegt, um zumindest für das Publikum sichtbar zu sein. Auch Alex bleibt über weite Strecken des Romans unsichtbar bishin zur kompletten Selbstaufgabe ihrer Identität. Sie ordnet sich unter, um zu gefallen, setzt in den unpassendsten Momenten ein Lächeln auf. Nur in ganz wenigen Momenten schimmert die echte Alex durch die glatte Oberfläche: Immer dann, wenn Alex im Pool oder im Meer schwimmen geht, scheint sie ganz bei und für sich zu sein.

Durch den immer wieder aufblitzenden subtilen Humor ist "Die Einladung" zudem auch eine Gesellschaftskritik. Die Scheinwelt der Reichen und Schönen besticht durch ihre Oberflächlichkeit, durch die Ausgrenzung der Menschen, die nicht dazugehören können oder wollen. Das ist zwar nicht neu, doch wie Emma Cline ihre Protagonistin als Wandlerin zwischen den Welten - da ist wieder das Geistmotiv - einsetzt, gibt dem Roman etwas zutiefst Eigenständiges.

Clever ist auch, wie lässig Cline die Spannung aufbaut. Erst nach und nach erzählt sie, wie Alex eigentlich in diese offenbar ausweglose Situation hineingeraten konnte. Dazu bedarf es nicht vieler Worte, manchmal reicht ein einfaches Auflegen von Alex' Gesprächspartnern am Telefon.

Möchte man etwas an dem Roman kritisieren, ist es vielleicht die fehlende Entwicklung der Protagonistin in der zweiten Hälfte. Trotz diverser Rückschläge bleibt Alex mit Ausnahme der Wasserszenen eigentlich immer gleich. Vielleicht passt das aber eben auch umso besser zu einer Figur, die ihre Identität ohnehin schon nahezu aufgegeben hat. Sprachlich schien mir zudem die Übersetzung an der einen oder anderen Stelle etwas zu knirschen.

Insgesamt ist "Die Einladung" aber ein sehr überzeugender und hochaktueller Roman, denn die Scheinwelt der Reichen und Schönen lässt sich sehr gut auch auf die Sozialen Medien und ihre Auswirkungen auf Kinder und junge Leute übertragen. Zudem ist er mehr als eine schnöde Gesellschaftskritik, weil er mit Blick auf Alex als verlorenes Individuum psychologisch subtil, aber dennoch tief in die Seele seiner Hauptfigur hineinschaut, ohne mit ihr zu fühlen, aber auch ohne sie zu verurteilen. Um es auf die Leserschaft zu übertragen: Man bangt mit Alex und man ärgert sich über sie, aber sie lässt einen nie kalt. Das ist das Hauptverdienst von Emma Cline.