Atmosphärisch dicht

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mike nelson Avatar

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Atmosphärisch dicht. Genau das ist der neue Roman von Emma Cline - "Die Einladung". Die Story ist eigentlich recht simpel, vielleicht auch schon vielfach von anderen erzählt: Die zweiunundzwanzigjährige Alex weiß nicht so recht etwas mit ihrem Leben anzufangen, hat keinen Zugang zu ihren eigenen Emotionen, einen ziemlichen Empathiemangel, aber ausreichend Antennen dafür, andere Menschen für sich zu gewinnen, die sie dann für eigene Zwecke auszunutzen weiß. Natürlich macht sie sich damit keine Freunde, wird aus WG's geworfen und bekommt Freundschaften aufgekündigt. Dann hat sie den wohlsituierten und wesentlich lebensälteren Simon kennengelernt, ihr Leben scheint abgesichert und Simon kann mit einer jungen und hübschen Frau an seiner Seite aufwarten; das schöne Konstrukt, der so scheinheilige Tauschhandel 'Wohlstand gegen Jugend', platzt auf einer Party von Simon, als Alex sich ziemlich unangemessen benimmt und für Simon für fünf Tage - bis zum nächsten großen Fest vor die Tür geworfen wird. Und der Großteil des Romans beschreibt, wie Alex genau diese fünf Tage zubringt, wie sie - schlafplatzlos und ohne Mittel, dazu noch mit einem defekten Handy, gefordert ist, sich irgendwo bei anderen 'einzuschleichen', um die Zeit gut rumzubekommen. Alles läuft für Alex auf das Ende der fünf Tage hinaus - dann wird sie zurückkehren und Simon gegenüber in ihrem jugendlichen Glanz erstrahlen und ihr Leben wird wieder zurückgefunden haben in seine alte Ordnung. Das Buch kann man lesen als eine Geschichte über eine junge Frau, die andere nur für eigene Zwecke ausnutzt. Dann wird die Geschichte nicht sonderlich gefallen. Man kann es aber auch lesen als den Versuch einer verzweifelten Person, das eigene Leben auf die Kette zu bekommen, als den Versuch, eine Selbstillusion aufrecht zu erhalten. Ich habe schon lange nicht mehr eine derart subtil aufgebaute Geschichte gelesen, die sich ab der ersten Seite in Richtung eines existenziellen Scheiterns hin zuspitz. Zudem versteht es Emma Cline mit ihren treffsicheren Beschreibungen, die Welt der Schönheit und des Reichtums zu dekonstruieren... und nimmt uns Lesenden vielleicht auch die eine oder andere Illusion.