Ein Roman über die Bedeutung von Identität und Heimat sowie dem besonderen Wert von Zusammenhalt

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Im Roman „Die Erfindung der Sprache“ nahm mich Anja Baumheier mit auf die fiktive ostfriesische Insel Platteoog. Eine Kirche, ein paar Nahversorgungsgeschäfte und ein Mehrzweckhaus mit Arztpraxis, Polizeistation und Grundschule gibt es auf dem Eiland in der Nordsee. Besonders erwähnenswert ist die Bäckerei, denn sie wird von Leska und Ubbo Bakker betrieben, den Großeltern des Protagonisten Adam Riese. Eine Fähre sorgt dafür, dass Bewohner und Touristen in einer halben Stunde das Festland erreichen. Der Titel nimmt Bezug auf ein Buch mit gleicher Bezeichnung, das in der Geschichte eine wichtige Rolle bei der Auffindung von Adams Vater Hubert spielt.

Adam ist 32 Jahre alt und wohnt inzwischen in Berlin. Er ist Doktor für Sprachtheorie und angewandte Sprachwissenschaft und orientiert sich gerne an selbst erstellten systematisierenden Listen, die ihm einen gewissen Halt vermittelt und panikartige Anfälle vermeiden helfen. Sein Hang zur Zahl sieben ist eine seiner wunderlichen Schrullen, dazu ist er hochbegabt und sich bewusst, dass er autistische Züge trägt. Als er 13 Jahre alt war, ist sein Vater von einer Reise nicht zurückgekehrt. Eines Tages findet Oda, Adams Mutter, in einem Buch einen Hinweis auf den weiteren Verbleib von Hubert nach seinem Weggang. Adam macht sich nicht nur im eigenen Interesse, sondern vor allem zum Wohl von Oda auf die Suche danach, ob Hubert noch lebt und wenn ja, möchte er wissen wo.

Anja Baumheier zeigt ein kontrastreiches Leben von Adam, der zunächst in geborgenen Verhältnissen auf der kleinen überschaubaren Insel aufwächst. Aber auch dort erreichen ihn ungeahnte Schicksalsschläge, nicht nur durch das Verschwinden des Vaters, sondern auch durch einen weiteren großen Verlust. Das Adam mit seinem Verhalten immer wieder auffällt, ist spätestens im Umgang mit Gleichaltrigen zu bemerken. Von der gut ausformulierten Hauptfigur des Romans bis hinein in die Nebenfiguren kreiert die Autorin eigenwillige Charaktere wie beispielsweise die fürsorgliche, ständig besorgte, aus der Tschechoslowakei stammende Großmutter von Adam bis hin zu einer empathischen Logopädin, die wie jemand aus einem bekannten Kriminalroman aussieht.

Der Roman ist sprachlich facettenreich. Anja Baumheier hält an dem Originalton ihrer Figuren, die in der Sprache ihrer Heimat sprechen, fest; entsprechende Übersetzungen finden sich zum Verständnis in den Fußnoten. Ihre Beschreibungen sind häufig detailreich. Einen einmal aufgegriffenen Spleen der handelnden Personen behält sie konsequent bei, was ich später als erschöpfend empfand. Dadurch dehnt sich die Erzählung bei der Suche von Adam leicht aus. Trotz dramatischer Wendungen fehlt es nicht an gefühlvoll ausgeführten, mit sanfter Ironie ausgestatteten Situationen.

In ihrem Roman „Die Erfindung der Sprache“ schreibt Anja Baumheier in einer abwechslungsreich gestalteten Sprache über die Bedeutung von Identität und Heimat sowie den besonderen Wert von Freundschaft und Zusammenhalt. Die Geschichte ist tragisch berührend und dennoch amüsant mit hohem Unterhaltungswert. Daher empfehle ich sie gerne weiter.