Der Weg zum Wunderland

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Als Kind besaß ich beide Alice-Romane, las sie, liebte die Bilder, hinterfragte jedoch nie. Im Laufe der Jahre schnappte ich Informationen auf: dass es eine reale Alice gegeben hat, dass der Autor Wissenschaftler war und anderes. Meist, wenn eine neue Verfilmung anstand. Dass es überhaupt etwas darüber hinaus zu wissen geben könnte, erfuhr ich erst durch „Die Erfindung der Alice im Wunderland“.
Autor Lewis Carroll fiel bereits in der Kindheit durch großes mathematisches Talent auf, hatte aber auch eine ausgeprägte phantasievolle Seite. Für diese hat er sich sein Pseudonym zugelegt, eigentlich heißt er Charles Lutwidge Dodgson. Wirklich viele Informationen zu ihm als Person, insbesondere Kindheit und Ausbildung, sind leider nicht enthalten. Vielmehr konzentriert sich Peter Hunt auf den Zeitpunkt, zu dem „Alice“ entstand, sie ist es, um die dieses Werk gestrickt wurde. Dies jedoch in einer Art und Weise, die schnell deutlich macht, dass er diverses Vorwissen voraussetzt. Zu Dodgsons Person einerseits, seiner Zeit andererseits, aber auch was literarische Begebenheiten, besonders bei Kinderliteratur, betrifft. Hunt, selbst Professor für Literatur, tastet sich so textlich und inhaltlich an „Alice“ heran. Die oberflächlich kindlich wirkende Geschichte versteckt diverse Andeutungen zu Carroll, seinem Leben und seinem Umkreis. Nicht weiter verwunderlich, wenn man den „Zufall“ ihrer Entstehung berücksichtigt und für wen sie gedacht war. Denn Alice Liddell (6) und ihre beiden Schwestern saßen einst mit Dodgson und einem Studienkollegen in einem Boot. Weil den Mädchen langweilig wurde, begann er eine wundersame Handlung zu erfinden. Im Laufe der Jahre erweiterte sie sich und so existieren mehrere Versionen für unterschiedliche Ziel- und Altersgruppen.
Hunt zitiert verschiedene Textstellen und setzt sie in einen Kontext, oft zu anderen Kinderbüchern der Zeit, die sich Dodgson entweder als Beispiel oder als Abschreckung nahm. Dass er etwas Neues kreierte, könnte die große Popularität von „Alice im Wunderland“ erklären.
Die mehrfache Erwähnung von „kindlichen Freundinnen“, von denen Dodgson offenbar einige besaß, wird leider nicht weiter vertieft. Dass der Autor diese und seine Liebe zur neu aufgekommen Fotografie verbunden hat und wie, lässt Hunt wohlweislich aus. Ob diese „Beziehung“, insbesondere zu der echten Alice und dem Werk „Alice“ nicht zumindest erwähnenswert gewesen wären, muss jeder für sich selbst entscheiden. Immerhin ist zu erfahren, dass die Tagebücher, die Dodgson penibel geführt hat, aus einer bestimmten Zeitperiode verschollen sind.
Das großformative Hardcover mit der übersichtlichen Seitenanzahl wird durch siebzig farbige Illustrationen und Fotos deutlich aufgewertet. Eine gut lesbare Schriftgröße und Originalbilder der ersten „Alice“ (die blond war und sich damit vom echten Vorbild deutlich unterschied) runden das Optische ab.
Am Ende gibt es einen ausführlichen Anhang. Leider sind beinahe sämtliche weiterführende Werke und erwähnte Kinderbücher nur in englischer Sprache ohne deutsche Übersetzung zu haben. Das Literarische an „Alice“ ist sehr interessant und sprachlich mehr als ansprechend. Meine Ausgabe aus der Kindheit habe ich leider nicht mehr gefunden, aber das Interesse am Buch ist neu erwacht, so dass ich es geliehen habe.
„Die Erfindung von Alice im Wunderland. Wie alles begann.“ Ist ein nettes Zusatzwerk für Fans des Kinderbuches. Allerdings nur dann, wenn man literarisch interessiert ist und ein bisschen Vorwissen mitbringt. Für den normalen Leser gibt es leider nicht viel her.