Wer war Alice? - Empfehlenswertes Sachbuch für Einsteiger

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monika_brigitte Avatar

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„Und das erste, was es über die >echte< Alice zu sagen gibt, ist, dass sie im wirklichen Leben keineswegs dem ähnlich sah, wie sie es auf fast allen Bildern von ihr in den Büchern oder Filmen dargestellt wurde.“ (S. 25)

Alice Liddell, die siebenjährige Tochter eines Oxford Dekans, trug ihre dunkelbraunen Haare zu einem modischen Bob-Schnitt -keine langen blonden Haare, keine Schleife & kein Haarband. Wie wurde sie zu dem Kinderbuchstar, der heute noch in jedem Mädchenkinderzimmer einen festen Regalplatz hat?

Inhalt

In DIE ERFINDUNG VON ALICE IM WUNDERLAND von Peter Hunt wird die Entstehungsgeschichte dieses Klassikers anschaulich mit zahlreichen Fotografien, Zeichnungen und Gemälden erzählt -von „Wie alles begann“ bis „Wie alles endete…oder doch nicht endete?“. Sind die Alice-Bücher nur reine fiktionale Nonsensgeschichten? Was hat es mit dem Mythos einer Bootsfahrt auf sich? All das klärt sich in diesem Sachbuch.

Alice avancierte zum Kinderbuchstar, 2016 wurden 7609 Ausgaben in 174 Sprachen von Alice im Wunderland gezählt, von Hinter den Spiegeln erschienen 1530 Ausgaben in 65 Sprachen. (Vgl. S.116). Wie ist dieser nachhallende Erfolg zu begründen? Peter Hunt beleuchtet die viktorianische Entstehungszeit und den Autor der Alice-Bücher, Charles Lutwidge Dodgson alias Louis Carroll. Warum schrieb er ein so persönliches Buch voller Parallelen und Anspielungen- Insider möchte man sagen- für eine Tochter seines Dekans? Zahlreiche delikate Vorwürfe über den Entstehungsanlass und Dodgsons Moral grassierten schon zur Entstehungszeit der Alice-Bücher. Peter Hunt räumt mit den Gerüchten auf und legt seine fundierte Sicht der Dinge dar.

Autor

Zu Peter Hunt gibt es nicht all zu viel herauszubekommen. Er ist emeritierter Professor für englische Literatur und Kinderliteratur an der Universität Cardiff. Er forschte unteranderem zu Charles Dodgson und J.R.R. Tolkin.

Schreibstil

In sechs Kapiteln plus Vorwort vermittelt Hunt interessante Fakten, berichtet über Gerüchten und legt einige Parallelen zwischen den Texten Dodgsons und seinen Inspirationsquellen dar. Ich wette, im englischen Original sind einige Vergleiche, die er anstellt, offensichtlicher. Meiner Meinung nach geht einiges in der Übersetzung verloren - hier hätten bspw. Gedicht im Original und in der Übersetzung nebeneinander gegenübergestellt werden können.

Für die Darstellung der direkten Zitate aus Alice im Wunderland und Alice hinter den Spiegeln wurde die Übersetzung von Christian Enzensberger herangezogen, welcher die Alice-Klassiker auch in Deutschland populär machte. Das ist für mich nachvollziehbar, allerdings hatte ich so meine Schwierigkeiten mit den Eigennamen (Schnapphase statt Märzhase, Zwiddeldei & Zwiddeldum statt Tweedeldee und Twiddeldum) -das erkläre ich mir allerdings durch meine Alice-Prägung durch den Disney-Film in meiner Kindheit, bei dem die Übersetzung anders angelegt wurde. Andere Leser:innen mögen diesem Kritikpunkt weniger Gewicht beilegen.

Wer alle Anspielungen in den Alice-Büchern nachvollziehen möchte, ist mit diesem Buch sicherlich nicht richtig - dafür empfehle ich die Penguin Clothbound Classics Edition, bei der der Originaltext mit zahlreichen Fußnoten durchzogen ist und umfangreiche Erläuterungen und Verweise angibt.

Das Sachbuch besticht vor allem durch seine großflächigen Abbildungen (Buchformat=27,5 *21 cm).

Design & Illustration

Die Aufmachung des Sachbuchs ist sowohl seine größte Stärke als auch seine größte Schwäche. Locker über 42 qualitativ hochwertige Abbildungen (natürlich Illustrationen von John Tenniel; historische Fotos, die u.a. von Dodgson selbst als Hobbyfotograf angefertigt wurden; zahlreiche Abbildungen der Alice-Bücher/Schauspiele/etc.) werden auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier abgebildet. Allerdings harmonieren Text und Abbildungen nicht. Oft kommt erst zwei Seiten später die entsprechende Abbildung, von der im durchgehenden Text berichtet wird.

Fazit

DIE ERFINDUNG VON ALICE IM WUNDERLAND von Peter Hunt ist ein informatives und abbildungsreiches Sachbuch zum populären Kinderbuchklassiker mit kleinen Schwächen in der Text-Bild-Abstimmung. Für Einsteiger in die Alice-Rezeption kann ich es mit bestem Wissen und Gewissen empfehlen. Die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen Hunts werden hilfreich unterstrichen durch moderne & historische Fotografien, schöne Zeichnungen und Abbildungen historischer Dokumente.

Die Erfindung von Alice im Wunderland. Wie alles begann. | Peter Hunt| übersetzt aus dem Englischen von Gisella M. Vorderobermeier| wbg Theiss Verlag| 09.03.2021| 128 Seiten| 28,00€