Selbstfindungsprozess einer jungen Pastorin

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tilia Avatar

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Auf dem Buchcover ist eine junge Frau zu sehen, die auf einem Drahtseil balanciert. Dieses Symbol verkörpert das zentrale Thema der Geschichte: Elke, eine junge Pastorin, ist auf der Suche nach ihrem Platz im Leben.

Nachdem sie plötzlich alle Dinge vergessen hat, die einen Bezug zu Gott haben (Elke nennt dieses Phänomen „Gottdemenz“) gerät ihre bisherige Lebensplanung ins Wanken. Eine wichtige Rolle spielen bei ihrem Selbstfindungsprozess die Auseinandersetzung mit dem angestrebten Beruf, die Aufarbeitung des Unfalltods ihres Bruders und ihre Beziehung zu Jan, einem perfektionistisch veranlagten Atheisten.

Die Begegnung mit einer Gruppe von Motorradartisten entführt Elke in eine Welt, jenseits von Sicherheit und gutbürgerlichem Leben. Zunächst scheint Elke fasziniert von diesem unkonventionellen Leben.

In der Abgeschiedenheit ihres Heimatortes sucht Elke nach Antworten auf Fragen an sich und das Leben, die in ihr Bewusstsein drängen.

Tamar Noort hat für das erste Kapitel ihres Romans 2019 den Hamburger Literaturpreis gewonnen. Völlig zurecht, wie ich finde. Auf eine sehr bewegende Weise lässt sie den Leser an der Sinnsuche der jungen Seelsorgerin teilhaben. Dabei kommt es zu skurilen Situationen, wenn Elke beispielsweise einen verwesenden Mäusekadaver in einer Schachtel in der Wohnung ihres Freundes zurücklässt oder wenn der nach der amerikanischen Schriftstellerin Gertrude Stein benannte Papagei Gertrude ihren Freund Jan in dessen Wohnung angreift.

Die Figuren sind authentisch. Durch den detaillierten und präzisen Schreibstil der Autorin entstehen aussagekräftige Bilder der handelnden Personen. Das Thema Tod (und Ewigkeit) taucht in unterschiedlichen Facetten im Handlungsverlauf auf. Verknüpft mit der äußeren Handlung sind Betrachtungen des Lebenssinns aus der Sicht der verschiedenen Romanfiguren. Dadurch wird der Leser angeregt, seine eigene Sichtweise des Lebens denen der Romanfiguren gegenüber zu stellen.

An Elkes Weg zu sich selbst teilzuhaben, kann auch für den Leser bereichernd sein. Wer tiefsinnige Lebensanalysen, verpackt in einer Romangeschichte mit überraschenden Ereignissen, mag, für den ist dieses Buch empfehlenswert.