Grandioser Schreibstil - großer Lesegenuss

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bea20 Avatar

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Elke, Ende zwanzig, studierte Theologin und angehende Pastorin, stellt plötzlich eine „Gottdemenz“ an sich fest. Bei ihrer eigentlich sehr geliebten ehrenamtlichen Seelsorgearbeit in einem Kölner Seniorenheim fehlen ihr plötzlich die Worte des Vaterunser-Gebetes, sie kann keine Bibeltexte vorlesen oder erinnern, hat scheinbar keine Verbindung mehr mit Gott. Ihr fehlen jedoch nicht nur die Worte mit Gottesbezug, sie kann sich grundsätzlich auch den ihr nahestehenden Menschen (vor allem ihrem aufrichtigen Freund Jan und ihren Eltern) nicht mitteilen und ihre Sorgen, Ängste und Zweifel aussprechen. Eine familiäre Tragödie vor 15 Jahren haben weder Elke noch ihre Eltern gemeinsam verarbeitet, sie haben keine Trauerarbeit geleistet und in den folgenden Jahren einfach nicht über den tragischen Unfalltod des Bruders und Sohnes gesprochen. Elke erkennt, dass sie an den Ort ihrer Kindheit zurückkehren und sich der Leerstelle in ihrem Leben, den Erinnerungen und anstehenden Entscheidungen stellen muss. Wichtige Dinge müssen ausgesprochen werden, die trennende Stille muss einer wiedererstarkten Verbindung weichen. Der Autorin Tamar Noort gelingt es, in bildhaften Episoden und beeindruckender Sprache im Folgenden den Reifeprozess, das Annehmen, Loslassen und Neubeginnen glaubhaft und berührend darzustellen.

Die Hauptfigur und Ich-Erzählerin Elke ist sprunghaft, handelt oft irrational und beim Lesen habe ich mich oft über ihr entscheidungsschwaches Verhalten und so manche Szene gewundert oder sogar geärgert. Aber trotz aller Ecken, Kanten und Schwächen ist sie ein liebenswerter und warmherziger Mensch und ich mochte ihrer Geschichte gerne folgen. Überhaupt sind alle Figuren im Buch wunderbar skurril, sympathisch und menschlich skizziert, besonders die alte Nachbarin und pensionierte Richterin Röschen mit ihrem uralten und klugen Papagei Gertrude.

Der Balanceakt zwischen Himmel und Erde, den die Hauptfigur absolviert, wird perfekt auf dem so schönen wie schlichten Buchcover dargestellt. Das Buchäußere ist ein echter Hingucker, der Schreibstil der Autorin grandios. Und dieser besondere Erzählton und die so wunderbar bildhafte, humorige und oft geistreiche Sprache bleiben in bester Erinnerung. Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Buch von Tamar Noort.