„Ich glaube, ich glaube nicht an Gott“

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
europeantravelgirl Avatar

Von

Ein plötzlicher Anfall von Gottdemenz? Elke, die in der Trauerbegleitung eines Stifts arbeitet, fehlen die Worte, das Vaterunser, die Gebete. Alles, was mit Gott zu tun hat, ist ihr völlig aus dem Gedächtnis abhandengekommen. Was zu tragisch-komischen Momenten führt, wurzelt tiefer. Eine Pastorin ohne den Glauben an Gott? Elke verliert nicht nur in beruflicher Hinsicht den festen Boden unter ihren Füßen, sondern das Fundament ihres ganzen Lebens gerät ins Wanken. Schließlich hatte sie eine glückliche Kindheit im Pfarrhaus verbracht und der Vater setzt all seine Hoffnung in Elke, die ihn auf der Kanzel ablösen soll. Doch die hat völlig die Orientierung verloren, den anscheinend fest vorgegebenen Pfad verlassen und irrt nun haltlos durch ihr Leben, wobei sie eine Schneise der Verwüstung durch Beziehung, Freundschaften und bei ihren Mitmenschen schlägt, immer auf der Suche nach dem abhanden gekommenen Gott, für den sie nur Wut empfindet. Denn da ist noch ein Ereignis aus ihrer Vergangenheit…

Der Roman von Tamar Noort hat mich sehr berührt. Elkes Suche, all ihre Zweifel und ihre Verlorenheit haben mich abgeholt und mitgenommen. Als selbst in der evangelischen Kirche engagierter Mensch habe ich mich ihr und ihrer Gedankenwelt tief verbunden gefühlt. Besonders die gelungenen Metaphern, Bibel- und Liedzitate verleihen der Geschichte nahezu gleichnisartigen Charakter, wie etwa die Episode mit dem Däumling oder das in Schieflage geratene Kirchgebäude mit dem wankenden Fundament. Wer hier jedoch theologische Ausführungen und Diskurse erwartet/befürchtet, dem sei gesagt: Dieser Roman wendet sich vor allem der zutiefst menschlichen Seite zu, dem Raum zwischen Himmel und Erde. Vor allem der Hauptperson Elke mit all ihren Zweifeln – an Gott, an ihren Beziehungen, an sich selbst, nicht zuletzt symbolhaft verdeutlicht durch das wunderschöne Cover. Das Buch strotzt geradezu vor außergewöhnlichen Ideen wie etwa dem Motodrom und der Steilwand. Selten konnte ich mich in einem Roman dermaßen in die Protagonistin hineinversetzen und habe auch die übrigen Figuren als unheimlich authentisch und vielschichtig empfunden.

Mich beeindruckte der ehrliche Umgang mit den Zweifeln. Und trotz allem schwingt große Hoffnung und Zukunftsperspektive mit. Dies alles in einer klaren Sprache, ohne mahnenden Zeigefinger, aber in seiner Schlichtheit und zugleich metaphorischen Wirkung bedeutsam. Für mich ein großer Lesegenuss.