Im Limbo

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diebuchprüferin Avatar

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Die fast 30-jährige Elke, die mitten in der seelsorgerischen Begleitung plötzlich beginnt, ihren Gottesbegriff zu verlieren, macht es einem nicht leicht, sie zu mögen. Denn mit ihrer Orientierung an Gott scheinen der angehenden Pastorin auch ANstand und VERstand abhanden zu kommen. Verantwortungslos, unfair, schnell gekränkt, während sie andere leichthin verletzt, stakst die Ich-Erzählerin durchs Buch, ständig das eigene Opfersein im Blick. "Meine Spur verlor sich", heißt es da in elegischem Selbstmitleid, oder "Aber ich wusste nicht, wozu. Der Tag fand doch eh nicht statt." Und das sind nur zwei Beispiele.

Eine unsympathische und von den Traumata ihrer Jugend verspätet aus dem Gleichgewicht gebrachten Protagonistin zu zeichnen, ist natürlich legitim und kein unüblicher Topos, und gegen Ende findet ja auch eine Entwicklung statt. Die Heldenreise der jungen Frau führt sie durch verschiedene, eher ablenkende Abenteuer zurück ins Heimatdorf - nachdem sie ihren diversen mitmenschlichen Vergehen im ganz privaten Bereich die Krone aufgesetzt hat -, und dort vor Ort geht es dann endlich ans Eingemachte, sprich, an Einsichten und Erkenntnisse. Allerdings dreht sich bei diesen zwar einiges auch um Kirche und Gott, doch leider findet die Auseinandersetzung damit eher oberflächlich statt.

Dass der spektakuläre Begriff der "Gottdemenz" wie überhaupt der ganze Klappentext das Thema des Buches (Auflösung besagter Traumata) mal wieder nur ansatzweise erfasst, kann man der Autorin nicht unbedingt vorwerfen, das ist eher Verlagssache (auch den durchgängigen Falschgebrauch der Begriffe wogen und wiegen würde ich eher aufs Lektorat schieben).

Wie Noort sich im Text allerdings mit Religion oder Glaube auseinandersetzt, finde ich viel zu oberflächlich. Und das sage ich als Atheistin. So äußert ausgerechnet Pastorin Nadja: "Aber dass du nicht an Gott glauben musst, um eine gute Pastorin zu sein, das weißt du, oder?" Nadja findet das Heiligste in einem göttlichen Vanilleeis oder einem offenbar ebenso göttlichen Backwerk. Dass zu Religion mehr dazugehört als derart populärphilosophische Wohlfühlaussagen, das mag der Autorin klar sein, in ihrem Buch kommt es nicht rüber.

Ein Roman wie dieser wäre die ideale Plattform für eine Auseinandersetzung mit dem Bedürfnis des Menschen nach Sicherheit und Trost im Glauben, mit dem Wesen von Kirchen mit all ihren hellen und dunklen Seiten gewesen - doch leider fand ich hier kein Wort davon. Ja, die Autorin schreibt witzig und gekonnt, kein Zweifel, und ich weiß ihre skurrilen Ideen und hier und dort wunderbaren Formulierungen zu schätzen - doch mir persönlich reicht das nicht, um an dem Buch Freude zu haben, zumal die Protagonistin über weite Strecken eher an ein grausames und schwer verstörtes Kind erinnert.

Wer sich davon nicht nerven lässt und eine solide Geschichte zu Vergangenheitsüberwindung lesen möchte, kann das hier gut tun; allen, die sich vom Stichwort "Gottdemenz" eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Glauben erhoffen, können das Buch getrost auslassen. Meint zumindest die Buchprüferin.